Santiago de Chile: Ein Lauf durch die Großstadt hinter den Anden

Rundstrecke: Von der Plaza Baquedano durch den Parque Forestal parallel zum Rio Mapocho talwärts in Richtung Stadtzentrum bis zum Museo de Bellas Arte. Von dort Abstecher auf der Straße J.M. de la Barra zum Cerro Sta Lucia mit schönem Blick über Stadt und Anden (der Sta Lucia Park öffnet erst ab 9 Uhr). Durch den Parque Forestal wieder zurück zum Plaza Baquedano und weiter ansteigend parallel zum Rio Mapocho im Parque Balmaceda bis zur Av. Huelen (von hier kann der Lauf flussaufwärts beliebig weiter in die Stadtviertel Providencia und Las Condes verlängert werden.) Von der Av. Huelen wieder zurück zur Plaza Baquedano. Von hier führt eine weitere Variante in südlicher Richtung in den Parque Bustamante. Einfache Rundstrecke: rd. 45 Minuten.

Im Herzen von Chiles Hauptstadt Santiago geht es rauf oder runter. Entweder bergauf Richtung Anden oder hinunter ins Tal Richtung Pazifik. Autofahrer nutzen die nach dem Staatsgründer benannte zentrale Verkehrsader Bernardo O’Higgins. Fußgänger, Läufer und Radfahrer orientieren sich indes am Rio Mapocho, der von den Anden herunter quer durch die Stadt fließt. Mit dem Gefälle von den Anden zum Pazifik verändern sich die Stadt und ihre Sozialstruktur. Oben moderne Wolkenkratzer, Shoppingcenter und vornehme Wohnviertel, unten Altstadt, Markthallen und Sozialwohnungen.  Wer oben residiert, hat andere Sorgen als die Menschen unten.

Wir starten unseren Lauf auf mittlerer Höhe – sozial und geographisch. Von der Plaza Baquedano (besser bekannt als Plaza Italia) kommend  traben wir zunächst talwärts  einen guten Kilometer durch den schön angelegten Parque Forestal, dem zentralen Stadtpark Santiagos. Gleich zu Beginn stoßen wir auf die Fuente Alemana. 1912 wurde die große Brunnenskulptur  von deutschen Einwanderern anlässlich des 100. Jahrestages der Unabhängigkeit Chiles gestiftet. Begleitet von einem mächtigen Adler segelt ein muskulöser Germane über die Wellen und trifft auf chilenische Robben. Ein großes Kunstwerk seiner Zeit. Heute fegen haitianische Gastarbeiterinnen in knallgelben Overalls die Wege rund um den Brunnen.  Ein Stück weiter im Park findet sich eine kleine Siedlung von Hundehütten.  Santiago hat ein Herz für seine freilaufenden Vierbeiner.

An der Av. Jose Miguel de la Barra angekommen, sehen wir auf der Straßenseite gegenüber den prächtigen klassizistischen Bau des Museo de Bellas Artes, gleich dahinter das Museum für Moderne Kunst.  Wir merken uns das für einen späteren Besuch und halten uns rechts in Richtung Cerro Sta Lucia. Das ist ein 70 Meter hoher Hügel, auf dem einst die Stadt Santiago gegründet wurde.  Wer zu Öffnungszeiten des Parks kommt, genießt in dieser grünen Oase die spürbar frischere Luft und die gute Aussicht auf die Berge.

Wieder zurück aus der Innenstadt und auf nunmehr ansteigendem Gelände überqueren wir den Plaza Baquedano. Dies ist einer der belebtesten Orte der Stadt. Abends kreuzen hier die Menschen auf dem Weg  ins Kneipenviertel Bellavista, morgens schlurfen sie müde zurück. Hier werden die Siege der chilenischen Nationalelf gefeiert, und es wird für gerechtere Bildungschancen demonstriert. Sicherheitshalber steht schon früh morgens ein Mannschaftswagen der Militärpolizei bereit. Heute stellt das im demokratischen Chile keine Bedrohung mehr dar. Ambulante Verkäufer pressen frische Orangen aus,  Hunde laufen bei Rot über die Straße und Polizisten versuchen dennoch den Verkehr zu regeln. Abgasgeruch dringt in die Nase.

Entlang des Flusses laufen wir weiter durch den Parque Balmaceda. Eine steile Fußgängerbrücke führt über den Mapocho. Verliebte Paare hängen hier ihre Schlösser ans Geländer. Es ist gut, dass sich die Menschen auf dieser Brücke lieb halten, denn das Geländer ist gefährlich niedrig. Der Blick von der Brücke ist großartig. Vor dem Hintergrund der  verschneiten  Anden ragt Südamerikas höchster Wolkenkratzer hervor.  Der Costanera Tower wurde noch vor der Finanzkrise von einem deutschstämmigen Investor in Auftrag gegeben, blieb dann lange unvollendet und hat inzwischen die endgültige Höhe von 300 Meter erreicht. Einheimische erzählen aber, dass das Bürogebäude großenteils leer steht.

Jenseits der beliebten Shopping Malls sorgen Wasser und Kupfer für das Wohl und Wehe der Chilenen. Das Wetterphänomen El Niño hat lange für Trockenheit gesorgt, im chilenischen Winter aber die Schneehöhen auf den Bergen wieder ansteigen lassen. Das ist gut für die Trinkwasser- und Stromversorgung, denn mit dem Klimawandel gehen die Wasserreserven in den Gletschern seit Jahren zurück. Die Tagespresse berichtet, dass die Kupferpreise einen neuen Tiefstand erreicht haben. Das ist nicht gut für Chile, denn das Land ist weltgrößter Kupferexporteur, und die Einnahmen aus dem roten Metall garantieren viele Arbeitsplätze und finanzieren den Staatshaushalt.

Der Stadtteil Providencia präsentiert sich indes von seiner schönen Seite. Der Parque Uruguay wurde neu angelegt und mit Fitnessgeräten ausgestattet. Ein neuer Fahrradweg  führt bis hinauf in das noch feinere Stadtviertel El Conde. Die Jacaranda Bäume strahlen so violett wie die Milka Kuh.  Auf dem Rückweg laufen wir am Café Literario Parque Balmaceda vorbei. Seit es 2001 von der  Kommunalverwaltung als erstes öffentliches Literaturzentrum mit Kindertagesstätte und Restaurationsbetrieb eröffnet wurde, ist es zu einer Institution geworden, die schnell Schule gemacht hat. Weitere Stadtparks haben nun eine literarische Anlaufstelle mit Nachwuchsbetreuung.

Kurz vor dem Ziel laufen wir erneut an der Fuente Alemana vorbei. Doch diesmal ist es die an der Av. Bernardo O’Higgins gelegene traditionelle Sandwichería. Inmitten eines Thekenvierecks schmieren Frauen mit viel Liebe leckere Butterbrote. Das hat sich herum gesprochen. Die Kneipe ist immer voll und inzwischen weit bekannter als der Brunnen.

Dezember 2015

Die Hauptstadt erwacht: Ein Lauf mitten durch Berlin

Rundstrecke: Vom Anhalter Bahnhof in Berlin-Kreuzberg  über die Stresemannstraße zum Potsdamer Platz;  über die Bellevue Allee in und durch den Tiergarten bis zur Straße des 17. Juni.  Diese überqueren und über Rüsternallee und John-Foster-Dulles-Allee zum Haus der Kulturen.  Über Parkwege zum Bundeskanzleramt und über die Paul-Löber-Allee links am Reichstag vorbei bis zum Spreeufer.  Auf der Wilhelm-straße rechts bis Unter den Linden und Brandenburger Tor. Gen  Osten auf der Straße Unter den Linden. Rechts auf der Charlottenstraße bis zum Gendarmenmarkt. Über die Schützenstraße zum Checkpoint Charlie und die Niederkirchnerstraße vorbei an Mauerresten und der Gedenkstätte Topographie des Terrors. Um den Gropiusbau herum auf die Stresemannstraße und zurück zum Anhalter Bahnhof.  Rd. 11 km.

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Es ist kurz nach sieben. Die Straßenlaternen leuchten noch. Berlin erwacht an einem beliebigen politischen Tag. Von der Ruine des Portals des Anhalter Bahnhofs in Berlin-Kreuzberg laufe ich auf der Stresemannstraße in Richtung Potsdamer Platz. An der Berliner Dependance des BMZ stehen weiß auf grün Sätze wie „Weil wir von unseren Partnern lernen wollen“.  Schade, als Begründung für Entwicklungspolitik wirkt das blass.

Eine Doppelreihe Pflastersteine zieht sich quer durch Berlin. Hier stand früher die Mauer. Bis zum Potsdamer Platz laufe ich entlang dieser ehemaligen Todeszone. Jetzt naht die Adventszeit. Deshalb wirbt auf dem Platz eine 10 Meter hohe Schneerutsche aus Kunststoff für den neuen Snoopy Film. Zwischen dem gläsernen Hochhaus der Deutschen Bahn und dem Ritz Carlton Hotel  geht es auf der Bellevuestraße in den  Tiergarten.  Auf der hübsch angelegten Allee durch den Wald kehrt schnell Ruhe ein. Einige Läufer und Radfahrer sind schon unterwegs, von links quert ein Skilangläufer auf Rollen.  Die Herbstfarben der Bäume leuchten im Morgengrau. Früher haben hier Fürsten Rehe gejagt, Kammerdiener haben sie dafür aufgespürt und festgehalten, ein Schuss ein Treffer!  So zeigen es satirische Blätter aus dieser Zeit.

Nach einem knappen Kilometer stoße ich auf die Straße des 17. Juni. Sie erinnert an den Volksaufstand 1953 in der DDR und den eigentlich auf Dauer angelegten Nationalfeiertag in der BRD. Heute wirkt das angesichts des Mauerfalls vor 26 Jahren wie graue Geschichte. Links ragt die Sieges- säule in den verhangenen Himmel, rechts das Brandenburger Tor, dahinter im Frühnebel der Fernsehturm am Alexanderplatz. Dieser Straßenabschnitt  ist die größte Festmeile Berlins. Hier werden Techno Partys, ins Zwielicht geratene Sommermärchen und  Sylvester gefeiert.  An der John-Foster-Dulles-Allee liegt das 1957 erbaute Haus der Kulturen, wegen der muschelförmigen Form des Daches von den Berlinern auch „Schwangere Auster“ genannt. Das  Gebäude war früher auf jeder Postkartensammlung von  Westberlin abgebildet. Heute wirkt es in die Jahre gekommen und an den Rand der Geschichte gedrängt.

Über gepflegte Parkwege nähere ich mich Angela Merkels Arbeitsplatz. Man kann durch die Glasfassaden nicht  erkennen, ob um diese Tageszeit schon regiert wird.  Direkt neben dem Kanzleramt steht ein Zirkuszelt. Das Tipi am Kanzleramt. Man fragt sich, was in welchem Zirkus gespielt wird.  Am Vorabend haben sich im Kanzleramt die Spitzen der Koalitionsparteien nach langem Streit auf einen Kompromiss zur Flüchtlingspolitik geeinigt. „Transitzonen light“  titelt dazu der Berliner Tagesspiegel.

Schräg gegenüber vom Kanzleramt liegt der mächtige Reichstag. Wegen der vielen Absperrungen kann man um das Gebäude nicht herum joggen. Das  ist den Abgeordneten auf ihrer Politikerlaufbahn vorbehalten. Stattdessen laufen Normalbürger links vorbei am Reichstag bis zum Spreeufer. Wenige Meter weiter das ARD Hauptstadtstudio.  Jetzt wird klar, dass die Tagesschau-Reporter für ihren Bericht nur kurz vor die Tür treten.

Ich biege rechts in die Wilhelmstraße ein. An mehreren Parlamentsgebäuden und der französischen Botschaft vorbei gelangt man auf die Prachtstraße Unter den Linden. Wer durch Berlin joggt, wird jetzt das Brandenburger Tor durchqueren wollen. Auge in Auge mit der Quadriga. Ich laufe von Ost nach West,  um eine der Säulen herum und wieder von West nach Ost auf den Pariser Platz.

Berlin erwacht. Der erste Japaner macht ein Selfie, Leute laufen mit Kaffeebechern zur Arbeit, vor dem Hotel Adlon öffnen livrierte Diener mit Zylinderhut schwere Limousinen, gegenüber öffnet das Starbucks Coffee in bester Lage.  Die  Currywurst- und Dönerbuden,  keine  300 Meter vor dem Brandenburger Tor ebenso gut positioniert,  servieren erst zum späteren Vormittag. Ein paar Schritte weiter auf der Straße Unter den Linden liegen Blumensträuße, Kränze und Teddybären vor einem mächtigen Eisengitter. Passanten haben sie aus Anteilnahme vor der russischen Botschaft niedergelegt. Nach dem Bombenattentat auf das Flugzeug über dem Sinai trauert Russland um seine Toten.

Gleich neben dem beliebten Ampelmann Laden folgen die Schauräume des strauchelnden Volkswagenkonzerns. Wo sonst die glitzernden Luxus- modelle der  verschiedenen VW-Marken stehen, herrscht plötzlich gähnende Leere. Ein Mann wischt den Boden, der große Kehraus nach dem Abgasskandal steht aber noch aus. Der Bahnhof Friedrichstraße liegt in Sichtweite. Jeder der hier einst die erniedrigenden  Grenzkontrollen beim Übergang nach Ostberlin erlebt hat, wird die Beklemmung bei der Einreise in das so fremde deutsche Nachbarland nicht vergessen.

Ich biege rechts in die Charlottenstraße ein. Hier war im Vorkriegsberlin  das Bankenviertel. An der Ecke Charlotten- und Behrenstraße steht das Gebäude der ehemaligen Berliner Handelsgesellschaft. Später zog hier die Staatsbank der DDR ein, nach der Wiedervereinigung die KfW. Direkt gegenüber das elegante The Regent Berlin Hotel.  Polizisten sichern den Eingang, sieben „weiße Mäuse“ stehen mit ihren BMW Maschinen bereit. Gleich wird die Motorradeskorte einen  Staatspräsidenten zum nächsten Termin geleiten.  Heute ist es Evo Morales, der bolivianische Präsident.

Die Tagespolitik verflüchtigt sich, manches welkt, historisches bleibt. Am Gendarmenmarkt wacht Schiller vor dem Schauspielhaus, rechts und links flankiert vom Französischen und Deutschen Dom, 1701 erbaut von der lutherischen und  französisch-reformierten Gemeinde.  Berlins schönster Platz hat eine  Schokoladenseite. Bei Faßbender & Rausch verwandelt sich die Kakaobohne in Berliner Schokoandenken aller Art.  Vom Reichstag bis zum Bären ist hier alles käuflich.

Vorbei an unbebauten Grundstücken, die in bester Lage als Parkplätze vermietet werden, gelange ich in die Schützenstraße. Der Abstecher lohnt,  denn hier ist das Deutsche Currywurst Museum Berlin zuhause. Wer keine Zeit hat es zu besuchen, kann sich als hübsche Geschenkideen  Wurstpieker aus Edelmetall oder die Pommes Schale aus Porzellan auch online bestellen.  Wenige Schritte weiter der Checkpoint Charlie, einst Übergang vom  amerikanischen in den sowjetischen Sektor Berlins. Daneben stehen mehrere Trabis an der Straße. Museumsreife erhielten beide erst, als der Kalte Krieg vorbei war.

In der Niederkirchnerstraße hat man Reste der Berliner Mauer stehen gelassen. Wo die Mauerspechte besonders fleißig waren, sieht man durch ein Loch die Gedenkstätte Topographie des Terrors mit den Ruinen ehemaliger Gebäude der NS-Staatspolizei und der SS. Auf der anderen Seite der Mauer die grauen Mauern des Bundesfinanzministeriums, auch ein Relikt  der Nazizeit.  Ein paar Schritte weiter, im Gropiusbau,  wurde eine Legosammelstelle  für Herrn Ai Weiwei  eingerichtet.  Der chinesische Aktionskünstler wollte für ein Kunstwerk aus Lego Legobausteine bei Lego bestellen, was das dänische Unternehmen aber ablehnte. Nun werden private Legospender angesprochen.

Auf der Stresemannstraße gelangt man schnell wieder zurück zum Anhalter Bahnhof. Wo früher Europas größte Bahnhofshalle stand, werden heute Konzerte veranstaltet. Dafür hat man hier 2001 für sehr viel Geld das Tempodrom errichtet.  Das zeltähnliche Dach ähnelt verblüffend Oscar Niemeyers Kathedrale in Brasilia, ein Symbol der alternden architektonischen Moderne.

November 2015