Die weiße Diva zeigt sich gnädig – Eine Wanderung rund um den Mont Blanc

Blick auf das Massiv des Mont Blanc (4810 m) von Südosten aus


Dieser Bericht beschreibt eine Wanderung rund um den Mont Blanc im Juli 2023, die vom DAV Summit Club angeboten und begleitet wurde. Er gibt die persönliche Sicht des Verfassers wieder.


Morgens um viertelvorsieben gibt’s am Frühstücksbuffet ein Gedränge wie an der Sektbar in der Theaterpause. Eine junge Dame mit sorgsam geflochtenen Zöpfen füllt sich bedächtig Joghurt in eine Schale, wendet sich dann den Müsliangeboten zu, nimmt hier ein Löffelchen und von dort noch ein Portiönchen und hinter ihr staut sich die Schlange der Wartenden bis auf den Flur. Die Auberge du Mont Blanc im Schweizer Bergdorf Trient ist mit über 60 Gästen ausgebucht. Es ist Hochsaison auf der Wanderroute rund um den Mont Blanc.

Einmal Mount Everest und zurück
Tags zuvor haben wir unsere Königsetappe geschafft. Über 1000 Höhenmeter geht es in hochalpinem Gelände steil hinauf zum 2665m hohen Joch des Fenêtre d’ Arpette, dann wieder 1400 m hinunter mit wunderbaren Blicken auf den Trientgletscher am Nordrand des Mont Blanc Massivs. Zehn Wanderstunden stehen am Ende auf dem Tageskonto. Drei Viertel der Rundstrecke liegen nun hinter uns.

Die „Route du Mont Blanc“ – es stimmt schon, was überall geschrieben steht  – ist eine der schönsten und abwechslungsreichsten Fernwandertouren in den Alpen. Sie ist aber auch eine physische und mentale Herausforderung, denn nach dem Jo-Jo-Prinzip geht es jeden Tag meist mehr als 1000 Meter rauf und 1000 Meter wieder runter. Da hilft Bergerfahrung und Kondition, auch wenn die Wege – mit wenigen Ausnahmen – technisch nicht schwer zu laufen sind. Acht Wandertage dauert unsere Umrundung. Am Ende werden wir acht Pässe überquert und – alle Aufstiege zusammengenommen – einmal den Mount Everest erklommen haben. 

Blick auf den Trientgletscher, im Hintergrund die Aiguille de Tour (3544m)
 

Rustikale Unterkünfte und reichhaltiges Essen
Zurück in die Auberge: Unsere Herbergsmutter hatte unserer Sechs-Frauen-und-vier-Männer-Truppe ein doppelstöckiges Matratzenlager zugewiesen, dazu gesellten sich noch ein Vater mit Tochter aus Kalifornien. Wenn zwölf Menschen erschöpft und auf engstem Raum ihre Rucksäcke auspacken, kann es recht kuschelig werden. Doch das erstklassige Käsefondue am Abend und die edlen Tropfen vom roten Gamay und weißen Fendant lassen unser Stimmungsbarometer schnell wieder auf stabile Höhenlagen ansteigen.

Zudem ist unserem „Zimmerscout“ in der Gruppe auch an diesem Abend wieder ein Coup gelungen. Und das kam so: In größeren Hütten mit Matratzenlagern sind die Belegungen oftmals ungleich verteilt. Da lohnt es sich zu schauen, wo noch ein bisschen mehr Platz zum Schlafen ist. Im großen alten Haus der Auberge hat unser Scout tatsächlich noch ein freies Bettenlager entdeckt – und damit konnten wir unsere Frauenmannschaft von der männlichen Schnarch-Fraktion befreien! 

Rund um den Mont Blanc: bis zu 170 km durch Frankreich, Italien und die Schweiz mit etlichen Varianten. Die MTB Seite  www.montourdumonblanc.com bietet gute Hinweise zu Unterkünften und Wanderrouten.

Auf unserer Tour gegen den Uhrzeigersinn übernachten wir drei Mal in Frankreich und Italien und zwei Mal in der Schweiz. Jede Hütte hat ihre landestypischen Eigenarten. Italienischer Zwieback zum Frühstück führt schonmal zu leichtem Naserümpfen, das Lunchpaket ist dafür umso größer. Die Abendessen verdienen rundum sehr gute Noten, deutlich bessere als das Knarr-Konzert der hölzernen Doppelstockbetten. Am Morgen wundert man sich, dass es wider Erwarten doch gelungen ist, bis 5 Uhr zu schlafen. In den Sanitäranlagen kann es schonmal eng werden. „Du musst halt nachts gehen oder bis zur nächsten Hütte aushalten“, rät unser abgebrühter Bergführer.

Wander*innen aus aller Welt
Mehr als vierzig Unterkünfte liegen auf der Strecke, dazu etliche Campingplätze. Gut 1.500 bis 2.000 Wander*innen dürften sich in der Hochsaison täglich auf den Weg machen,  aufs Jahr gerechnet sicherlich zehn- bis zwanzigtausend. In der Hochsaison sind die Hütten voll,  aber auf den Wegen gibt es kein störendes Gedränge.

Wir treffen gleichwohl immer wieder auf die nettesten und verrücktesten Leute.  Da ist die britische Familie mit Vater Max, dem Bodybuilder. Auf seinem Herkulesrücken ist der Familienstammbaum eintätowiert. Da kann man nachlesen, dass er mit Frau Monica und seinen drei Kindern unterwegs ist. Der Ire, nennen wir in Ian, packt gern andrer Leute Sonnenhüte ein, entpuppt sich aber sonst als feiner Kerl. Eine französische Mutter wandert mit ihrem halbwüchsigen Sohn. Der lässt seine Drohne über die Gletscher fliegen. Zwei Skandinavierinnen sind mit Zelt unterwegs. Sie schleppen 15 kg Gepäck mit sich herum, deshalb treffen wir sie bei jeder Pause wieder.  Eine Inderin aus Bangalore, die als IT-Fachfrau in Hamburg arbeitet, hat sich als Solowanderin aufgemacht. Sie meint, dass die TMB-Tour in Indien bekannter als in Deutschland sei. Und da sind auch noch die Wandergruppen aus Japan, Südkorea und China. Der Mont Blanc ist auch in Asien ein Begriff.

Wir glauben, dass ohne Handy-Ladestationen nichts mehr geht!

Wir begegnen Trailrunnern mit den dicken Sohlen unter den Laufschuhen. Sie wollen die Mont Blanc Runde beim bevorstehenden Ultramarathon in drei Tagen schaffen. Und hin und wieder wundern wir uns über Mountainbiker, die ihre Drahtesel über das unwegsame Gelände schieben.

Der Mont Blanc ist ein weltweiter Publikumsmagnet. Im ehrwürdigen französischen Bergdorf Chamonix, dem Start- und Zielort unserer Tour,  ist Englisch längst zur Umgangssprache geworden. 

Bedächtiger Aufstieg von Chapieux zum Col de Seigne

Bergsteigerlegenden und schwindende Gletscher
Die Spitze des Mont Blanc sehen wir nur selten, denn immer wieder schieben sich vorgelagerte Gipfel in die Blickachse.  Die beste Zeit zum Schauen ist frühmorgens und abends, tagsüber ziehen Wolkenschleier auf. Doch der erfahrene Bergführer weiß auch diese Befindlichkeit der weißen Diva zu deuten: „Trägt sie einen Hut, bleibt das Wetter gut!“

Die Besteigung des Mont Blanc und seiner Nebenspitzen (Aiguilles) ist Stoff für reichlich Bergsteigerlegenden. Natürlich ist das nichts für Weicheier, lässt uns unser Bergführer unmissverständlich wissen. Er selbst, so erzählt er,  hat jedoch etliche Gipfel erklommen: Die Aiguilles zum „akklimatisieren“,  den besonders spitzen Dent du Géant (Zahn des Riesen), weil es eine „lustige Kletterei“ ist,  und als Höhepunkt der Aufstieg zur weißen Diva selbst. Auf den Karten zeigt mir unsere Wanderführerin (ja, wir werden abwechselnd von zwei Bergspezialist*innen geführt) die eng beieinander liegenden Höhenlinien auf den steilen Gletscherpassagen zum Gipfel. Das nötigt mir schon beim Hinschauen gehörigen Respekt ab. Und mit bloßem Auge erkenne ich auch aus der Ferne die enormen Gletscherspalten.  

Glaubt man den einschlägigen Hochtourenanbietern, dann gehört die Besteigung des höchsten Bergs Zentraleuropas nach wie vor auf die „Must-Do-Liste eines jeden Bergsteigers und Abenteurers“.  Doch dieses alpine Businessmodell beginnt zu kippen. Gewiss ist, dass mit dem Klimawandel auch das Bergsteigen gefährlicher wird.  Der Permafrost, der die Felsen wie Kit zusammenhält, löst sich allmählich auf. Bei Niederschlag im Sommer liegt die Schneefallgrenze inzwischen so hoch, dass sich die Gletscher mangels Neuschnee nicht mehr regenerieren und das bläulich schimmernde Eis direkt der Sonne ausgesetzt ist. Inzwischen häufen sich die Nachrichten über Gletscher- und Felsabbrüche,  Expert*innen warnen vor weiteren Extremereignissen.   

Noch birgt das Mont Blanc Gebiet ungeheure Gletschermassen. Das Mer de Glace (Eismeer), Frankreichs größter Gletscher, ist mehrere Hundert Meter dick. Doch die Schmelze ist auch hier nicht mehr aufzuhalten.

Gletscherschmelze am Südosthang des Mont Blanc Massivs

Genusswandern mit Aussicht
Unsere Wandergruppe ist unterdessen mit der Umrundung statt der Besteigung des Mont Blanc bestens bedient. Wir erfreuen uns am überaus abwechslungsreichen Panorama, an sprudelnden Bächen und blühenden Bergwiesen,  beobachten Wildbienen und Schmetterlinge und laufen mutig an grasenden Rinderbullenherden vorbei – dem Elektrozaun sei gedankt.  

Es sind ja oft die kleinen Zipperlein, die auf einer Bergtour die Stimmung heben oder kippen können: Wie begegne ich Rücken- und Schulterschmerzen? – Nun, der Rucksack sollte 8 bis 9 kg Gewicht, inkl. Tagesproviant und Wasser, nicht überschreiten. Rei in der Tube wiegt weniger als zu viel Wechselwäsche! Wie binde ich  meine Stiefel, damit die Blasen weniger schmerzen? – Einschlägige Videos auf YouTube zeigen es mir!  Wie bekomme ich meine angegriffene Verdauung in den Griff? – Gut, wenn die passende Arznei mit im Rucksack ist!  Wo kann ich mein Handy laden? –  Ein echter Engpass in den Berghütten! Ein Wirt macht doch tatsächlich den verwegenen Vorschlag: „Switch off your phone and enjoy the mountains!“ (Schalte dein Telefon aus und genieße die Bergwelt!).

Locker und entspannt gehen, sagt die Bergwanderführerin.

Gemeinsam geht es besser
Wir erleben eine überaus positive Gruppendynamik, denn ein gemeinsames Ziel eint auch Menschen, die sich zuvor nicht kannten und aus den verschiedensten Himmelsrichtungen kommen. Schnell gewinnen wir Vertrauen zueinander, ermutigen uns in Schwächephasen und beglückwünschen uns am Ziel. Wir tauschen Anekdoten und Erfahrungen aus, finden das bereichernd und vergessen darüber die Anstrengungen des Tages.

  Blütenvielfalt am Wegesrand
Adieu Mont Blanc

Nach 120 km Wegstrecke, Muskelkater in den Beinen und Blasen an den Füßen steige ich in Chamonix hoch zufrieden wieder in den Mont-Blanc-Express auf den Weg nach Hause ein. Es wird erneut ein Zehn-Stunden-Tag werden, diesmal im Sitzen. Der Regen schlägt an die Fenster, der Zug rattert durch die Bergtunnel zurück ins Tal.

Au revoir, arrividerci, adieu, Du weiße Diva, Du hast es gut mit uns gemeint.

Die Runde um den Montblanc im Detail (entgegen dem Uhrzeigersinn) :
Tag 1: Chamonix – Les Contamines Montjoie (Busfahrt), Notre Dame de la Gorge (1210m) – Col du Bon-homme – Col de la Croix du Bonhomme (2443m) – Chapieux, Auberge de la Nova (FRA, 1549m); 15,7 km
Tag 2: Chapieux – Col de Seigne (2516m) – Refugio Elisabetta (ITA, 2207m); 14,6 km
Tag 3: Rifugio Elisabetta – Col Chécrouit (1958m) – Courmayeur (1230m) – Rifugio Bertone (ITA, 1990m); 19,7 km
Tag 4: Rifugio Bertone – Testa Bernarda (2535m) – Rifugio Elena (ITA, 2061m); 18,6 km
Tag 5: Rifugio Elena – Col Ferret (2590m) – Ferret (1710m) – Champex-Lac (Busfahrt) – Relais d’ Arpette (CH, 1627m); 11,2 km
Tag 6:  Rel. d‘ Arpette – Fenêtre d’ Arpette (2665m) – Trient, Auberge du Mont Blanc (CH, 1292m); 13,4 km
Tag 7: Trient – Col de Balme (2204m) – Frasserands, Gite le Moulin (FRA, 1343m); 13 km
Tag 8: Frasserands – Chamonix/ Les Moussous, La Chaumière Mountain Lodge (FRA, 1035m); 12 km

Quellen:  DAV Summit Club (Tour du Montblanc: Rund um den höchsten Berg der Alpen (dav-summit-club.de);  Dank an Sieglinde Wirz für ihre Tourdaten; eigene Aufzeichnungen; Höhenangaben variieren je nach Quelle.

Ein Kommentar

  1. alsweider · Juli 31

    Glückwunsch Christoph zur Mont Blanc Umrundung. Das Fenetre d’Arpette und der Col der Balme ist mir von der Haute Route noch in bester Erinnerung. Sensationelle Landschaft und fordernde Anstieg….

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