
Edinburgh, Schottland: Machtkämpfe, Blut und Dudelsack
Rundstrecke: Nicholsons Square (Old Town), Marshallstreet, Potterrow und Lothian Street über Fußgängerweg, Bristo Place, Candlemaker Row, Grassmarket, über Treppen und Fußgängerweg hoch zum Edinburgh Castle, Royal Mile über 1,6 km den Hügel talwärts über Castlehill, Lawnmarket, High Street, Canongate, North Bridge bis zum Scottish Parliament, Abstecher zum Palace of Holyroodhouse, dann Fußgängerweg am Parlament rechts vorbei, Queens Drive am Fuße des Holyroodhouse Park, über einen Steig auf die St. Leonhards Lane und über Rankeillor Street, Clifford Park, Buccleuchstreet, über den Moscheeplatz zurück auf den Nicholson Square. 5,2 km, etliche Höhenmeter auf z.T. steilen Auf- und Abstiegen.
Unser Lauf durch die Altstadt Edinburghs führt uns durch fast 500 Jahre wechselvoller Geschichte. Wir laufen steile Passagen auf und ab durch Ober- und Unterstadt und passieren Orte, die uns an Mord und Totschlag, Liebe und Eifersucht sowie an Macht- und Religionskämpfe erinnern. Wir erleben die Anfänge moderner Stadtentwicklung und begegnen Adam Smith, dem Autor von „Der Wohlstand der Nationen“.
Wir beginnen unseren Rundlauf am Nicholson Square in der Old Town, gleich neben dem „Aroma Cafe & Mosque Kitchen“ unweit der zentralen Moschee von Edinburgh. Dies ist ein multikulturelles Viertel mit indischen, koreanischen, libanesischen, türkischen Kneipen, Läden von Lidl, der britischen Tesco Metro Kette und einem chinesischen Supermarkt. „Ebony Ivory“ bietet Afro Hairstyling an und bei „Eva’s Hair and Salon“ gibt’s die europäische Variante.
Über Potterrow , Lothian Street und Bristo Place laufen wir am Campus der University of Edinburgh und dem weitläufigen National Museum of Scotland vorbei. Das Viertel atmet Tradition, auch wenn auf der Candlemaker Row heute keine Kerzen mehr gegossen werden. Dafür liegen in esoterischen Buchhandlungen Titel wie „Is Killing People Right?“ in den Schaufenstern. Die Frage ist so abwegig nicht, denn in Schottlands Hauptstadt wurden Konflikte immer wieder blutig gelöst. Notorisch war das im 16. Jahrhundert. Aus Schillers „Maria Stuart“ erinnern wir uns dunkel an die Hinrichtung der Mary Queen of Scots, nachdem sie den Machtkampf mit ihrer Tante Elisabeth I., der Königin von England verloren hatte. Lokale Chronisten berichten, dass der Scharfrichter mehrere Hiebe benötigte, bis der Kopf endlich rollte. Aber auf unserem Lauf durch die Geschichte Edinburghs werden wir erfahren, dass auch Mary kein Unschuldslamm war. Die bisher letzte öffentliche Hinrichtung hat in Edinburgh übrigens vor gut 150 Jahren im Juni 1864 stattgefunden. Das lesen wir auf einer Gedenktafel auf dem Lawnmarket, einem zentralen Platz der Altstadt.
Maria Stuart kämpft
Die Candlemaker Row verläuft in einer leichten Linkskurve steil bergab in der Unterstadt bis auf den Grassmarket. Im Hintergrund eröffnet sich uns ein großartiger Blick auf das Edinburgh Castle. Es thront hoch oben auf einem massiven Felsblock. Wir laufen die Candlemaker Row hinunter und stehen nun vor hohen Mauern aus unverputzten und teils unbehauenen graubraunen Steinblöcken. Das wirkt wuchtig und ist bei regennassem nebligem Wetter auch ganz schön trist. Diese fünf- bis sechsstöckigen Hochhäuser wurden schon im 17. Jahrhundert errichtet, um dem starken Bevölkerungszuwachs und den katastrophalen sanitären Verhältnissen Herr zu werden. Edinburgh war seinerzeit eine der am schnellsten wachsenden Städte Europas.
Heute reiht sich am Grassmarket eine Whisky-Kneipe an die andere. Am Abend muss man sich vor falschen Trinkfreunden in Acht nehmen. Denn viele missachten die goldene schottische Regel, nach dem 10. Gläschen Schluss zu machen. Vom Grassmarket führt eine steile Treppe über die Castle Wynd South hoch hinauf zum Edinburgh Castle. Mehr keuchend als laufend gelangen wir auf den Vorplatz des Schlosses. Näher kommen wir nicht heran, denn ein freundlicher Wachmann versperrt uns entschieden den Weg. Zu dieser Morgenstunde werden mit schweren Kränen die Tribünen für die Sommerfestivals aufgebaut.
Macht bestimmt Religion
Wir befinden uns nun am oberen Ende der sog. Royal Mile, die über 1,6 km vom Schloss bis hinunter zum Palace of Holyroodhouse verläuft. Das ist jenes Schloss der Maria Stuart, in dem ihr eifersüchtiger Ehemann, der ehrwürdige Lord Darnley, ihren Privatsekretär und mutmaßlichen Liebhaber massakrieren ließ. Die Rache blieb nicht lange aus, denn wenig später kam auch Darnley auf mysteriöse Weise ums Leben.
Um diese morgendliche Zeit ist die Altstadt noch ruhig, und es ist augenscheinlich auch kein Blut geflossen. Die Schlösser und Museen haben noch geschlossen und nur vereinzelte Tauben und Touristen trippeln übers nasse Kopfsteinpflaster. Wir laufen auf der Royal Mile weiter den Hügel hinunter und genießen die frische Morgenluft und einen freien Lauf. Wenig später werden sich auf dem Lawnmarket zwischen den Statuen von David Hume und Adam Smith, Hunderte von Touristen vor Dudelsackspielern, Pantomimen, Schwertschluckern, japanischen Mandolinen Spielerinnen, Whiskyläden und Ständen mit karierten Kilts drängen.
Auf der Canongate verengt sich die Straße und wir stoßen regelrecht auf das alte Haus des streitbaren John Knox. Der calvinistische Reformator setzte durch, dass der Presbyterianismus Staatsreligion in Schottland wurde. Damit war auch das Schicksal der Maria Stuart besiegelt. Denn Mary war katholisch und musste nun ihre Krone an ihren minderjährigen, aber nunmehr protestantischen Sohn abgeben.
Schottlands Denkerzellen
Die Turmuhr der ehrwürdigen Toolboth Tavern, ein ehemaliges Zollhaus, zeigt inzwischen 8:15 Uhr. Gleich daneben steht die Canongate Kirk. Rechts neben der Kirche das ehemalige Wohnhaus von Adam Smith, im Friedhof nebenan wurde der Moralphilosoph begraben. Ein paar hundert Meter weiter traben wir wieder in die Neuzeit und stoßen auf den ultramodernen Bau des schottischen Parlaments. Seit dem unfreiwilligen Eintritt Schottlands in das Vereinigte Königreich im Jahr 1707 sind sich Schotten und Engländer in herzlicher Abneigung verbunden. Doch erst 300 Jahre später haben sich die Kaledonier jene Selbstbestimmungsrechte erkämpft, über die nun im eigenen Parlament debattiert wird. Der hinterlistige katalanische Architekt hat jedem Abgeordneten eine eigene Denkerzelle eingerichtet. Politische Entscheidungen wollen gut durchdacht sein.
Gleich hinter dem Parlament biegen wir rechts ab auf den Queen‘s Drive am Fuße des Holyrood Parks und laufen in leichter Steigung wieder Richtung Old Town. An den Abhängen des Hügels von Arthur‘s Seat blüht prächtiger gelber Ginster, doch der Felsgipfel bleibt im Nebel. Am Queen‘s Drive ist an diesem Morgen viel Betrieb, die letzten Vorbereitungen für den Edinburgh Marathon laufen auf Hochtouren. Außer Konkurrenz laufen wir fröhlich durch Start und Ziel, ermuntert durch lautstarke Rockmusik. Nach einem knappen Kilometer auf dem Queen’s Drive erreichen wir rechter Hand eine kleine Abzweigung und laufen über Treppen und Steige wieder in die Old Town hinauf. Ein paar Straßenecken weiter sind wir wieder an der Edinburgh Moschee angelangt. Es wirkt friedlich in diesem bunten Altstadtviertel. So als hätte es die ewigen Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen anglikanischer und schottischer Kirche nie gegeben. Heute schlendert ein schwarzhäutiger Muslim über den Moscheevorplatz.