
Washington D.C., USA: Auf der Suche nach dem besten Präsidenten
Rundstrecke: Vom Lafayette Square gegenüber dem Weißen Haus über die 15th Street bis zum Washington Monument auf der National Mall, rund um das Tidal Basin und an verschiedenen Gedenkstätten vorbei bis zum Lincoln Memorial. Über die 21th Street in nördlicher Richtung zum Außenministerium und zur George Washington Universität. Über die G Street in die 19th Street und zwischen den Gebäuden von IWF und Weltbank hindurch. Über die H Street auf die Pennsylvania Avenue und zurück zum Weißen Haus und Lafayette Square. 8,2 km.
Unser morgendlicher Lauf durch die Hauptstadt beginnt mit dem Blick auf den berühmten Regierungssitz und seinen weißen Säulen am Lafayette Square. Es ist Mitte April. Die Temperaturen liegen deutlich unter der Behaglichkeitsgrenze, die man für gewöhnlich zu Zeiten der Kirschblüte antrifft. Aber in der US-Hauptstadt ist in diesen Tagen wenig gewöhnlich. Das Klima hat die japanischen Kirschbäume schon im März erblühen lassen und stattdessen im April den Schnee geschickt. Und im Lande tobt ein Vorwahlkampf um die Präsidentschaft, der angesichts der dargebotenen Geschmacklosigkeiten selbst langjährigen Beobachtern schlaflose Nächte bereitet.
Vier Männer und eine Frau streiten sich, wer im Januar 2017 als neuer Chef ins Weiße Haus einziehen darf. Wird es der raubeinige Donald Trump, der gegen das Washingtoner Establishment Sturm läuft, aber gleichzeitig als Bauunternehmer das historische Postamt der Hauptstadt zu einem Hotel umbauen lässt? Oder wird es die wenig beliebte, aber in Washington und an der Wall Street bestens vernetzte Hillary Clinton?
Die Pennsylvania Avenue ist vor dem Amtssitz des noch amtierenden Präsidenten aus Sicherheitsgründen für den Durchgangsverkehr gesperrt. Jetzt sind hier nur Jogger und Sicherheitskräfte auf Fahrrädern unterwegs. Ein einsamer Friedensaktivist harrt in seinem kleinen Zelt direkt gegenüber dem Präsidentensitz aus.
Am Weißen Haus und der Treasury vorbei laufen wir die 15. Straße hinunter. Über einem wärmenden Belüftungsschacht schläft ein Obdachloser. Bald sind wir auf der National Mall angekommen. In diesem weitläufigen Park inmitten des Regierungsviertels begegnen wir den Gedenkstätten vieler großer Präsidenten. Zunächst geht es auf eine Anhöhe in der Mitte der Mall zum Washington Monument. Der große weiße Obelisk erinnert – ebenso wie der Name der Hauptstadt – an den ersten Präsidenten der USA. Er ist umringt von 50 US-Fahnen, eine für jeden Bundesstaat. Das Bauwerk ist zugleich städtebauliche Orientierungsmarke: Kein Gebäude der Hauptstadt darf höher als das Washington Monument sein. Inzwischen biegen die ersten Morgenflieger mit leisem Dröhnen in einer scharfen Linkskurve über der Mall zum National Airport ab. Der Hauptstadtflughafen wurde nach dem Altpräsidenten Ronald Reagan benannt, der während seiner Amtszeit mit großem Glück ein Attentat unweit des Weißen Hauses überlebte.
Über dem Tidal Basin, dem Teich zu Füßen des Jefferson Memorials, nähern sich im Tiefflug zwei große Helikopter mit der Aufschrift United States of America. In einem könnte Barack Obama sitzen, denn mit dem Präsidenten sind aus Sicherheitsgründen stets mehrere Transportmittel gleicher Bauart unterwegs.
Ein ehrgeiziger Jogger hüpft mit zwei Beinen gleichzeitig die mächtigen Stufen zum Tempel des Lincoln Memorial hinauf. Wir traben dagegen weiter zum Vietnam Veterans Memorial. Schwarzpolierte Granitplatten sind in der Form eines weit geöffneten V in den Boden eingelassen. Auf dem Stein sind die Namen der 60 Tausend in Vietnam gefallenen US-Soldaten eingraviert. Plötzlich werden wir von einem Veteranen mit erhobenen Armen gestoppt. Er fordert uns auf, gemessenen Schrittes durch die Gedenkstätte zu schreiten. 40 Jahre nach Kriegsende ist das Trauma immer noch da.
Zurück zur Innenstadt laufen wir an der Albert Einstein Statue und über die 21. Straße am Department of State vorbei. Wir durchqueren das Viertel Foggy Bottom mit seinen schmucken roten Backsteinhäusern und laufen durch den Gebäudekomplex der George Washington Universität. Schließlich nähern wir uns den Schwergewichten der Bretton Woods Institutionen beidseitig der 19. Straße. Hier der Glaspalast der Weltbank, dort der wuchtige Bau des Internationalen Währungsfonds. Beide Häuser richten in diesen Tagen ihre gemeinsame Frühjahrstagung aus, zu der die Finanzminister der fast 190 Mitgliedsländer zusammen kommen. Ein Taxifahrer wird später fragen, ob es stimme, dass Weltbank und IWF an allen Übeln der Welt schuld seien. Für die Rolle des Sündenbocks sind beide Häuser tatsächlich gut geeignet. Zu dumm, wenn es sie nicht mehr gäbe.
Washington, im April 2016