Blüten, Sand und Störche – Eine Wanderung an Portugals Atlantikküste
Rund 100 Treppenstufen sind es vom Klippenrand hinunter bis ans Wasser. Es ist Ebbe, der breite Sandstrand der Praia do Brejo Largo, hier und da durchbrochen durch Felsblöcke, reicht bis fast an den Horizont. Schnell streifen wir die staubigen Wanderschuhe ab, laufen barfuß an der Brandung entlang und klettern in die nächste Bucht. Welch ein Glücksgefühl! Das Meerwasser reinigt den verschwitzten Körper, die Frühlingssonne wärmt die Glieder auf, die Atlantikbrise kühlt die Stirn. Ein Möwenschwarm lässt sich von unserem Freudentaumel nicht beeindrucken, kennt das alles schon länger, flattert nur kurz auf und setzt dann seine Muschelsuche fort.
Dünen, Klippen, Meer
Wir sind im südportugiesischen Alentejo auf unserer zweiten Etappe des „Fischerpfads“ – dem vielleicht schönsten Teil der „Rota Vicentina“ – unterwegs. Los ging es in Porto Covo, zwei Stunden Busfahrt südlich von Lissabon gelegen. Ziel unserer viertägigen Wanderung ist Odeceixe, ein Ort nahe der Mündung des Ceixe. Das Flüsschen bildet die Grenze zwischen dem Alentejo und der Algarve, Portugals bekanntester Urlaubsregion. Das Fernwanderwegenetz der „Rota Vicentina“ darf hingegen noch als Geheimtipp gehandelt werden, denn der Ausbau begann erst vor rund 10 Jahren. Bürgervereine in der Küstenregion des Alentejo haben sich vorgenommen, sanften Tourismus zu fördern. Das Projekt wird von der Europäischen Union großzügig unterstützt und von den Wandertouristen dankbar angenommen. So verläuft der Fischerpfad überwiegend durch den geschützten „Parque Natural do Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina“. Rund 75 km mäandert der Weg durch Dünen, an Klippen hoch über dem Meer entlang, am Strand nahe der Brandung, durch Küstenwälder und bisweilen auch durch stacheliges Macchia-Gestrüpp. Gut die Hälfte der Strecke verläuft auf sandigen Wegen. Das ist mitunter mühsam. Doch wer Erholung ohne große Hotelanlagen, Fastfoodketten und Blechkarawanen sucht und zudem ein bisschen Anstrengung nicht scheut, ist hier richtig.
Das Wandern entlang der Küste wird zum Fest der Sinne: Ständig haben wir das Rauschen der Brandung im Ohr, die salzhaltige Luft ist Labsal für die Nase, und die Wildblüten im Frühling sind eine wahre Augenweide. Die kleinen Küstendörfer mit ihren weiß getünchten Häusern, in denen wir am Abend Quartier finden, haben Charme, bieten hervorragende regionale Küche und werden fangfrisch von den örtlichen Fischern beliefert.
Rote Nelken für die Freiheit
Heute ist ein besonderer Tag, denn die Portugiesen feiern den 49. Geburtstag ihrer Nelkenrevolution. Der Aufstand begann just in unserer Wanderregion, im Alentejo, wo mittellose Landarbeiter gegen Großgrundbesitzer aufbegehrten. Am 25. April 1974 stürzten Offiziere den langjährigen Diktatur Antonio de Oliveira Salazar. Als die Putschisten Lissabon erreichten, steckten ihnen Frauen rote Nelken in die Gewehrläufe. Das war ansteckend, denn noch im gleichen Jahr wurde Griechenland (wieder) demokratisch, Spanien folgte drei Jahre später.
Was bedeutet den Menschen dieser Feiertag? Die Lissaboner Zeitung „Diário de Notícias“ schreibt, dass die Demokratie in Portugal auch nach fast 50 Jahren kein Selbstläufer sei. Die Freiheit, so der Autor, ist ein Paradox, denn sie wird von denen bedroht, die sich die Freiheit nehmen, um sie zu bekämpfen. Somit muss sie beständig verteidigt werden.
Auf der Suche nach einem besseren Leben
Als wir den Weiler Almograve erreichen, treffen wir auf auffallend viele junge Männer mit südasiatischen Gesichtszügen. Einige mit Turban, sie gehören offenbar der Glaubensgemeinschaft der Sikh an. Anders als wir tragen die Männer weder Rucksäcke, noch verschwitzte Wanderklamotten. Sie sitzen alleine oder in Gruppen zusammen, denn der 25. April ist auch für sie ein arbeitsfreier Tag. Viele telefonieren.
Wer sind diese Menschen, die hier offenkundig nicht zuhause sind? Im Café „Sabores e Mar“, in dem sich am Nachmittag die Wanderer versammeln, bringt uns eine junge Frau, die nicht sehr portugiesisch aussieht, den Kaffee. Sie erzählt, dass sie gerade erst vor drei Wochen aus Kathmandu eingetroffen sei. Der Kellner im „Mar Azul“, ein nepalesisches Restaurant, kommt aus dem südnepalesischem Chandrapur und hat dagegen schon vor acht Jahren im Restaurant seines Onkels angeheuert. Uns fällt auf, dass sich in den Dörfern auf unserem Weg etliche asiatische „Minimarkets“ angesiedelt haben. Hier stocken wir hier unsere Wanderverpflegung auf, doch das Warenangebot richtet sich eindeutig auch an eine asiatische Klientel. Was also machen die vielen Asiaten in dieser Gegend?
Der Kellner im Fischrestaurant „O Lavrador“ erzählt, dass die Männer in den „estufas“, den Gewächshäusern der Gegend, arbeiten. Ein Blick auf Google Maps bestätigt, dass unweit vom Ort großflächig Tomaten, Obst und Waldbeeren angebaut werden. Nach ein paar weiteren Klicks im Internet wird klar: In Portugals Landwirtschaft arbeiten rund 50.000 Nepalesen und 200.000 Inder, viele davon im Alentejo, wo einheimische Arbeitskräfte fehlen. Hier entsteht eine neue Generation südasiatischer Landarbeiter, denn Portugals Früchteexport nach Nordeuropa – vor allem nach Deutschland – boomt. Der Strom der Zuwanderer in den Alentejo wird also weiter anschwellen. Begünstigt wird dies durch eine liberale portugiesische Einwanderungspolitik, aber auch durch Vermittler, die an den Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben mitverdienen. Der freundliche Ram hat seinen „Minimarket“ noch am späten Abend geöffnet. Ich frage den Nepalesen wie es ihm in Portugal gefällt. Er lächelt höflich und sagt, dass er mit seinen beiden Läden ein Auskommen habe. Risiken und Chancen der Arbeitsmigration liegen auch hier im Alentejo eng beieinander. Und ich weiß nun, wem ich die leckeren Heidelbeeren in meinem morgendlichen Müsli zu verdanken habe.
Rüstige Rentner und Frauengruppen
Die Wanderung auf dem Fischerpfad ist ein multikulturelles Erlebnis. Denn am Tage auf den Wegen und am Abend in den Cafés und Restaurants hören wir viel Munteres auf Italienisch, Englisch, Spanisch und natürlich auch auf Deutsch. Denn auch im Alentejo sind wir Deutschen die Wanderweltmeister. Holländisch hört man weniger, erst wieder in der Nähe der Campingplätze. Es sind, so scheint es uns, viele nette Leute unterwegs, junge Menschen, rüstige Rentner aus Nordeuropa, na klar, darunter viele Frauengruppen und Solowanderinnen. Und dann begegnen wir immer wieder der lachenden „Zeltstange“ und – wir nennen ihn einfach mal so – „Charles“. Die fröhliche Italienerin lässt ihre lässig im Rucksack verstaute Zeltstange weit in den Himmel ragen und jener eigenwillige Brite mit Rauschebart ist mit Bügelfaltenhose und Businesshemd unterwegs.
Wer ist Amália?
An unserem vierten Wandertag sind wir irgendwo zwischen Zambujera do Mar und Odeceixe unterwegs. Hier an den Klippen an einem der schönsten Küstenabschnitte unserer Tour steht das Gästehaus Amália Rodrigues sowie ein Hinweisschild zur „Praia da Amália“. Das hätte ich fast übersehen – ein schweres Versäumnis! Denn wir stehen vor dem Refugium der Sängerin Amália Rodrigues, für die Portugiesen die Ikone und Identifikationsfigur schlechthin. Amália – sie wird von Ihren Anhängern nur mit dem Vornamen genannt – wuchs in den 1920er und 1930er Jahren in ärmlichsten Verhältnissen in Lissabon auf und entwickelte sich mit ihrer einzigartigen Stimme zur bedeutendsten Fadosängerin des Landes. Sie wurde zum Vorbild für Generationen nachfolgender Künstlerinnen, die das Genre bis heute erfolgreich weiter entwickeln. Mariza, Ana Moura oder Cristina Branco, um nur einige zu nennen, nehmen mit ihren schönen melancholischen Stimmen die Menschen mit auf die Suche nach den Geheimnissen der menschlichen Seele.
Wir machen uns dagegen auf die Suche nach Amálias Strand. Durch dschungelartiges Gelände führt ein steiler Weg eine Schlucht hinab. Unten angekommen, erwartet uns eine wunderschöne und fast menschenleere Bucht. Wir spazieren über den Strand, tauchen ein in die eiskalten Wellen und spülen das Salz unter einem kleinen Wasserfall ab. Dann schnüren wir wieder die Wanderschuhe, erklimmen die Klippen und laufen hoch oben über der Brandung weiter Richtung Süden. Bis zum Leuchtturm des Cabo San Vicente, dem südwestlichsten Punkt Europas, sind es nur noch 50 Kilometer.
Ciconia cinonia
„Den gibt‘s auch in Hessen“, wird uns später unsere neidische Nachbarin belehren. Die Rede ist vom großen Weißstorch, auch Klapperstorch genannt. Er nistet für gewöhnlich auf Schornsteinen oder Masten, seit ein paar Jahren auch wieder in deutschen Gefilden. An Portugals Atlantikküste aber bauen Störche ihre großen Nester auf Felsspitzen hoch über der Brandung, und das ist, wie Ornithologen versichern, einzigartig. Hier kann die Brut ungefährdet wachsen. Von Atlantikstürmen oder neugierigen Wander:innen lassen sich die großen Vögel nicht beeindrucken.
Ungebändigte Natur, Wind und Meeresrauschen – und die Freundlichkeit der Menschen, das sind die Highlights unserer Tour auf dem Fischerpfad. Es braucht nicht viel um zu begeistern. Die Macher der Rota Vicentina haben ihren Weg gefunden.
Informationen zu Wanderrouten, Unterkünften und Verpflegung finden sich u.a. hier: Rota Vicentina SW Portugal sowie im Rother Wanderführer, Rota Vicentina, 2021
Einen Einstieg in die Welt der Fadomusik bietet die Dokumentation: WDR KLASSIK: Wir alle haben Amália im Blut: Amália Rodrigues und die Fado-Szene | ARD Mediathek , 2022
Eine Reportage über asiatische Arbeitsmigranten in Portugal findet bei der Deutschen Welle: Arbeitsmigranten – asiatische Billigpflücker in Portugal | Global 3000 – Das Globalisierungsmagazin | DW | 25.04.2022