Toronto – Kulturelle Vielfalt als Integrationsmodell?

Eine Radeltour durch Kanadas Metropole am Ontariosee

Radroute: Rundkurs mit öffentlichen Fahrrädern von Bike Share Toronto (http://www.bikesharetoronto.com/) von Bloor St (Korea Town) über Euclid Ave bis College Street  (Little Italy),  Augusta Street (Kensington Market) bis Dundas St W;  Spadina Ave (China Town) überqueren und weiter auf Dundas St zur Art Gallery of Ontario (AGO) und über die University  Ave ins Japango  (Elisabeth St); Nathan Phillips Square;  über Queens St E und Lower Jarvis St in die Old Town und vorbei am St. Lawrence Market; über Front St E zum Distillery District;  zurück in Stadtzentrum über die Esplanade bis Yonge Street und Richtung Seeufer zum Queens Quay;  dort in östlicher Richtung auf dem Waterfront Recreational Trail; links hoch die Strachlan Ave bis Queens St W und diese bis Spadina Ave folgen;  auf Spadina Ave in nördlicher Ri  am Campus der  University of Toronto vorbei bis zum Royal Ontario Museum in der Bloor St  fahren (Tagesausflug mit Pausen).


5:0 liegen die Blue Jays vorne. Kanadas einziges Baseballteam von Format schlägt in einer außergewöhnlichen Siegesserie reihenweise US-amerikanische Teams. Die junge Frau verfolgt die Partie auf ihrem Smartphone und ist begeistert.  Sie trägt chinesische Gesichtszüge, ihr Freund könnte aus Südamerika stammen.

Wir sind in Toronto unterwegs und radeln durch die neighborhoods. Eben haben wir auf der Bloor Street in Korea Town ofenwarme Nusswaffeln genossen; nun sind wir durch Little Italy hindurch am Kensington Market angekommen. Ein Hippie mit Rastalocken drischt auf seine Gitarre ein, ein Schwarzer trommelt coole Rhythmen. Aus einem Autowrack wächst Gras und Gemüse.

Eine Straßenecke weiter auf Spadina Ave und Dundas St entfaltet sich der Makrokosmos chinesischer  Wirtschaftsaktivität. Hier kann man ALLES kaufen. Wir betreten das The Herb Depot, eine geräumige chinesische Apotheke, und sind von der Vielfalt und den Düften  der  unzähligen Kräuter und Medikamente überwältigt. Der alte Apotheker im weißen Kittel sieht so weise aus, dass wir überzeugt sind, dass  jedes seiner Mittel  Wirkung entfaltet, nur welche?

Knapp sieben Millionen Menschen aus über 100 Nationen leben in der Greater Toronto Area. Die Hälfte davon ist außerhalb des Landes  geboren.  Die Einwanderungspolitik ist klar definiert. Wer jung ist, gute Ausbildung  und Sprachkenntnisse sowie ein Arbeitsplatzangebot mitbringt, der hat gute Chancen in absehbarer Zeit Kanadier  zu werden. Andere erhalten zeitlich begrenzte Arbeitserlaubnisse.  Toronto  nimmt landesweit die meisten Zuwanderer auf.  „Einheit durch Vielfalt“ lautet die hiesige Losung.  Die Stadt vermittelt den Eindruck, dass eine flexible Immigrationspolitik gepaart mit der Pflege der Einwandererkulturen ein Schlüssel zur  Integration sein kann.

Kritiker sagen jedoch, dass die nach oben begrenzten Zahlen für Einwanderer sowie das Kontingent für Flüchtlinge im zweitgrößten Land der Erde zu niedrig und die Integration der kanadischen Ureinwohner, der sog. First Nations,  nach wie vor ungelöst seien. Viele setzen deshalb auf den im Oktober 2015 mit großer Mehrheit gewählten liberalen Premier Justin Trudeau und hoffen, dass er das konservative Image Kanadas wieder aufpoliert.

In der Dundas St liegt auch der bemerkenswerte Frank-Gehry-Bau der Art Gallery of Ontario (AGO).  Eine  Sonderausstellung zeigt die Werke kanadischer Naturmaler um den Impressionisten Tom Thomson. Thomson malte Szenen aus dem Algoquin Provincial Park. 

Wir machen Pause im Japango, einer angesagten Sushi-Kneipe unweit des Stadtzentrums an der Kreuzung von Yonge und Dundee Street. Während der japanische Koch die Sushis  zusammen rollt, erklingt amerikanische Bigband Musik aus der Anlage.  Auf dem nahegelegenen Nathan Phillips Square, neben dem alten Rathaus, hat der Künstler JR im Rahmen der sog. Toronto Nuit Blanche, einem Kunst Event, unzählige Porträts von  Einwohnern Torontos ausgebreitet. Irgendwo liegt auch das Foto von Marie, Neu-Toronterin,  auf dem Pflaster.

Die angrenzende Old Town wirkt ziemlich verlassen, erst im Distillery District kommt wieder Leben auf. In viktorianischer Zeit waren die Backsteinbauten das Zentrum industrieller Schnapsbrennereien. Heute sind sie Flaniermeile und Filmkulisse. Wir beobachten eine Hochzeitsgesellschaft. Die Braut  mit indischem, der Bräutigam mit mediterranem Teint. Das Paar, Brautjungfern und Blumenkinder werden unter lauten Anfeuerungsrufen der jeweiligen Familien für das amtliche Foto in Szene gesetzt.

Der Rückweg in die Innenstadt verläuft über parkähnliche Anlagen entlang der Esplanade St. Straßenkünstler haben großflächige Traumlandschaften an die Mauern gepinselt.  Auf  einem  Sportplatz versenkt ein Freizeitsportler aus Latinoland zielsicher Basketbälle im Korb.  Wir sind jetzt allmählich im Bankenviertel angelangt.  Neben  gediegenen  Bankhäusern schießen neue Wolkenkratzer in den Himmel,  fast so hoch wie der Fernsehturm, das Wahrzeichen der Stadt.

An der Old Spaghetti Factory und einem deutschen Brauhaus vorbei radeln wir Richtung Uferpromenade am Lake Shore Blvd.  Dieses Stadtviertel direkt  am Ontario Lake ist erst in jüngerer Zeit entwickelt worden:  Eine hochmoderne aber etwas sterile Park- und Wohnlandschaft mit Yachthafen, Straßencafés und öffentlichen Kunstaustellungen. Hier verläuft der für Radler und Jogger reservierte kilometerlange Waterfront Recreational Trail, regelmäßiger Schauplatz von Torontos zahlreichen Laufveranstaltungen.

(Ein empfehlenswerter Abstecher führt vom Jack Layten Ferry Terminal auf die Toronto Islands, die der Stadt vorgelagert sind. Von der hübschen Siedlung in Ward im Osten  führt ein Rad- und  Wanderweg bis hin zum westlichen Ende der Inselgruppe.  Hier  findet sich  der  sog. „clothing optional“-Strand. Bis der Groschen  gefallen ist, laufen auch schon splitternackte Sonnenanbeter über den Weg.  Ein kurzes Stück weiter schippert die Fähre wieder zur Stadt zurück.)

Zurück in der Stadt geht es vom Waterfront Trail ein kurzes Stück die Strachlan Ave hinauf, bevor wir in die angesagte West Queen St  einbiegen. Dies ist Torontos Fashion District. Hier findet jeder ein  ausgeflipptes Halloween-Kostüm sowie allerlei  weitere nützliche Modeartikel, wie z.B. Federboas oder Schuhe mit  15 cm hohen Plateauabsätzen, die sich besonders gut für starken Neuschnee eignen.

Über die China Town an der Spadina Ave und die University Ave gelangen wir durch den parkähnlichen Campus mit den klassizistischen Gebäuden der angesehenen Toronto University wieder zur Bloor Street. Wir schließen die Tour mit dem Besuch des Royal Ontario Museums ab. Die Museumsmacher sind  auf Zack:  Mit Modenschauen, Disko und Livebands schaffen sie das  Kunststück, Tausende von jungen Besuchern für Dinosaurier-Skelette und griechische Antike zu interessieren.

Oktober 2015

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