
Rundlauf: Vom Carmel Market in Tel Aviv-Mitte in südlicher Richtung durch das Newe Sedeq Viertel über Shefer, Mohiliver, Ha-hermon, Kinneret und Shabazi Street bis Alma Beach vor Old Jaffa. In nördlicher Richtung entlang der Uferpromenade bis Jerusalem Beach. Am Ha-Knesset Square rechts auf Allenby Street bis Magen David Square. In Fußgängerzone über Nahalat Benjamin oder über Markt auf Ha-Carmel Street zurück zum Ausgangspunkt; 5,5 km.

In Tel Aviv ist der Sonntag nichts für Langschläfer. Schon am frühen Morgen setzen die ersten Düsenjets quer über die Innenstadt zur Landung auf dem Ben Gurion Flughafen an. In der Nachbarschaft wird schweres Baugerät in Bewegung gesetzt, und der Verkehr verdichtet sich schnell zur morgendlichen Rush Hour. Im Judentum ist der Sonntag nicht frei, sondern der erste Wochenarbeitstag.
Alte Viertel werden neu
Ich laufe vom Carmel Market, wo gerade die ersten Marktstände öffnen, quer durch das Newe Sedeq Viertel auf die Shabazi Street. Sie führt mich in südwestlicher Richtung bis hinunter an die Uferpromenade der Altstadt von Jaffa.

Niedrige Ziegelbauten aus der Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts stehen in direkter Nachbarschaft zu ultramodernen Hochhäusern und Apartments. Die engen Straßen werden immer wieder von Baufahrzeugen zugestellt. Heruntergekommene Häuser werden abgerissen, modernisiert oder aufgestockt. Manch alte Gemäuer ziert noch ein Graffiti, ein paar Meter weiter haben bereits Kunstgalerien, Boutiquen und Cafés eröffnet. Der Prozess der Gentrifizierung ist in diesem lange vernachlässigten Viertel in vollem Gange. Die Shabazi Street ist ihr attraktivstes Aushängeschild. Aber Veränderung hat auch ihren Preis.
Körperkult am Morgen
Ich durchquere einen kleinen Park und gelange schnell auf die Uferpromenade. An der Alma Beach ist bereits Hochbetrieb. Viele haben ihr Surfbrett, andere ihre Hunde mitgebracht und ein paar haben sogar beides auf ihre Fahrradanhänger geschnallt. Yogis, Jogger und Radler gesellen sich dazu. Jeder sucht die beste Welle, den morgendlichen Adrenalinstoß oder empfindet einfach nur Freude am eigenen Körper.
Von Süden nach Norden eröffnet sich mir ein wunderbarer Blick auf die morgendliche Uferskyline von Tel Aviv. Sechs Kilometer feinster Mittelmeerstrand und 24/7 Möglichkeiten zum Feiern: Von den Straßenkneipen in Jaffas Altstadt über die populären Strände der Innenstadt bis hin zu den angesagten Techno Clubs im Norden – das hat schon was! „The Nonstop City“ hat jemand in bunten Farben auf eine Strandbude gepinselt. Die Leute vom Stadtmarketing haben genau diese Losung zum Branding von Tel Aviv gemacht. Eine Metropole, die offen, tolerant und kreativ sein will. Ein Ort des beständigen Wandels und der Innovation. Aber auch eine Stadt, an dem der Geldbeutel nicht zu klein ausfallen sollte, weil Tel Aviv gegenwärtig auf Platz 9 der teuersten Städte der Welt rangiert.
Weiter geht es in Richtung Innenstadt auf der runderneuerten Uferpromenade. Ist es ein Zufall, dass die schwarz-weißen Wellen im Bodenbelag so aussehen wie die an der Copacabana in Rio?

Ich passiere Banana Beach und Jerusalem Beach, wo die Leute bis zur Ektase kleine Gummibälle mit Holzschlägern hin und her klackern. Für ein paar Momente mache ich mich an den Fitnessgeräten für ambitionierte Muskelmänner und rüstige Rentner zu schaffen und biege dann am Ha-Knesset Platz rechts ab auf die Allenby Street und hinein in die Innenstadt.
Von Dessau nach Tel Aviv
Die Straße scheint von Imbissbuden und Billigläden zu leben. Erst beim zweiten Hinsehen entdecke ich Strukturen alter Bauhausgebäude aus den 30er Jahren. Doch die einst weißen Fassaden sind schmutzig grau geworden, und viele der großen schattenspendenden Balkone wurden mit Fensterverblendungen zugebaut. So sieht man auf der Allenby Street nur noch Spuren jener „weißen Stadt“, für die Tel Aviv als Weltkulturerbe geehrt wurde.
Innovative Mobilität
In flottem Tempo werde ich an der Steigung zum Magen David Square von jungen Frauen und Männern auf Elektro-Bikes und E-Rollern überholt. Wenn später am Tag die Autoschlangen immer länger werden, erweisen sich diese populären Flitzer als attraktive und saubere Alternative für den Großstadtverkehr.

Nun laufe ich noch ein paar Meter in der Fußgängerzone die Nahalat Benjamin Street hinunter. Hier haben sich Stoffhändler mit Street-Art Künstlern zusammengetan. Jede Ladenfassade hat ihr eigenes farbenfrohes Motiv. Doch dann hat einer doch noch in die Suppe gespuckt. Der Graffiti-Künstler Banksy erinnert mit seinen provokativen Werken an Konflikte, die in dieser heiteren Stadt scheinbar mühelos verdrängt werden. Denn das ahnte auch schon Bert Brecht: Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.