Rundstrecke: Von dem „I amsterdam“ Schriftzug vor dem Rijksmuseum geht es über Paulus Potterstraat, Hobbemastraat, Stadhouderskade über die Brücke zum Leidseplein-Platz. Von hier rd. 700m stadteinwärts zunächst links über die Lijnbaangracht und dann rechts über die Leidsegracht bis zur Herengracht. Nun links rd. 600m an der Herengracht entlang, dann rechts in die belebte Raadhuisstraat. Über Brücke und Ampel links in die Singelgracht und auf dieser rd. 400m entlang bis zum Blouwburgwal. Rechts ab über knapp 1 km durch das Gassengewirr der Altstadt: Durch den Lijnbaachsteeg bis zum Nieuwezijds Voorburgwal; über diese verkehrsreiche Straße hinweg in den Dirk van Hasselsteeg; links auf die Einkaufsstraße Nieuwendijk und nach kurzer Strecke rechst in den Oudebrugsteeg; auf dieser Gasse über die zentrale Verkehrsstraße Damrak hinweg bis zur Warmoesstraat und dann rechts durch die Lange Niezel bis zur Ouderzijds Vorbugwal; links an der Gracht entlang bis zum Oudekerkplein und entgegen dem Uhrzeigersinn um die Oude Kerk herum. Dann wieder stadtauswärts auf dem Ouderzijds Vorbugwal rd. 600m bis zum Grimburgwal. Über diesen links herum über zwei Brücken und über die Binnengasthuisstraat durch das Gelände der Universität Amsterdam. Dann rechts auf die Nieuwe Doelenstraat und über die Rokinbrücke zum belebten Muntplein Platz. Über die Reguliersbreestraat auf den Rembrandtplein. Stadtauswärts über die Thorbeckplein bis zur Herengracht. Jenseits der Brücke rechts rd. 400m entlang der Herengracht und dann links in die Nieuwe Spielgestraat. Nun in gerader Strecke 800m Richtung Rijksmuseum, das Gebäude durchqueren und bis zu „I amsterdam“ durchlaufen. Innenstadtstrecke über 6 km.
Betreten ist ausdrücklich erlaubt. Der rot-weiße „I amsterdam“ Schriftzug im Amsterdamer Museumsviertel ist das vielleicht beliebteste Fotomotiv der Stadt. Besucher dürfen nach Herzenslust auf und zwischen den Buchstaben herum klettern und lassen sich dabei liebend gern fotografieren. So tragen jedes Jahr Millionen von Touristen aus aller Welt das liberale Image Amsterdams mit nach Hause. Ein wahrer Geniestreich der Leute vom Stadtmarketing!
Auch wir starten von hier aus unsere frühmorgendliche Joggingrunde durch die Amsterdamer Altstadt. Wir erleben eine Stadt, die es mit Gemeinsinn, Weltoffenheit und Toleranz sowie mit beträchtlichem Reichtum aus dem Kolonialhandel geschafft hat, das Zusammenleben ihrer Einwohner aus vieler Herren Länder über Generationen hinweg friedlich zu gestalten und zwischen kulturellen und politischen Gegensätzen immer wieder Brücken zu bauen.
Aus Südwesten nähern wir uns dem Grachtengürtel, der sich wie ein Spinnennetz um den Altstadtkern spannt. Der weitläufige Leidseplein-Platz, früher ein Pferdedroschkenplatz für Reisende aus Leiden, ist heute ein beliebtes Zentrum für Nachtschwärmer und Straßenkünstler. Am Morgen aber bestimmen Müllabfuhrleute und Bierlieferanten das Geschehen. Möwen picken an einem Müllsack. Ein Trupp übernächtigter Männer läuft schwankend durch die Straßen. In bester Lage hat ein Applestore eröffnet, einer jener exklusiven, ganz in weiß gehaltenen Verkaufsräume des Elektronikkonzerns aus Kalifornien. Gerade einmal 40 Jahre hat Apple gebraucht, um mit innovativer Datenverarbeitung zum wertvollsten Unternehmen der Welt aufzusteigen.
Amsterdam blickt demgegenüber auf 400 Jahre Geschichte zurück. Zu den reichsten Unternehmen des sogenannten Goldenen Zeitalters im 17. Jahrhundert gehörten die Ost- und Westindischen Handelskompanien. Sie monopolisierten im berüchtigten Dreieckshandel den Güter- und Sklavenverkehr mit den Kolonialgebieten in Afrika, Asien und Amerika und haben damit auch Amsterdam zur reichsten Stadt der Welt gemacht.
Über die Leidsegracht überqueren wir Prinzen- und Kaisergracht und gelangen in die Herrengracht, seit je her Amsterdams beste Geschäftsadresse. Augenfällig ist die variationsreiche Baukunst der Häuser. Auch die elegantesten Gebäude, drei- bis vierstöckig und auf engem Raum in Reihenbauweise errichtet, stehen mit großen einladenden Fenstern direkt an der Straße und wirken so für jedermann offen und zugänglich. Schützende Zäune, Mauern oder Vorgärten kennt man im Grachtenviertel nicht. Straßen und Bürgersteige sind mit rotem Backstein gepflastert, das feine Fischgrätenmuster begleitet uns durch die ganze Innenstadt. Unzählige Fahrräder säumen den Weg. Findige Statistiker haben ermittelt, dass die Zahl der Räder jene der Einwohner bei weitem übersteigt und in keiner anderen Stadt so viele Hausboote vertäut in den Grachten liegen.
Ich laufe um ein großes Transportfahrrad herum und beobachte Arbeiter eines Umzugsunternehmens, die mit Hilfe von Sack und Seilwinde schweres Mobiliar durch ein schmales Fenster bugsieren. Jogger kommen entgegen, Möwen kreischen über dem Wasser, Mopeds brummen vorüber, auf der Raadhuisstraat quietscht eine Straßenbahn um die Kurve.
Wir laufen nun auf den massiven klassizistischen Bau des königlichen Palais zu. Gleich daneben die Nieuwe Kerk, die Krönungskirche aus dem 15. Jahrhundert. Weil sie für diesen Zweck nur selten genutzt wird, beherbergt sie Gemäldeausstellungen. Es gehört zum freiheitlichen Selbstverständnis dieses Landes, dass Kirchen auch weltlich genutzt oder gänzlich säkularisiert werden, wenn die Gläubigen ausbleiben.
Über die Singelgracht, einst mittelalterlicher Festungsgraben, joggen wir bis zum Blouwburgwal und biegen in das Gewirr der Altstadtgassen ein. Hier stehen charmante Altbauten aus dem 16. Jhd. neben modernen Konsumtempeln, wie sie in ihrer immer gleichen Aufmachung in jeder Großstadt anzutreffen sind. Jenseits der Damrak Straße verdichtet sich das Angebot erotischer Unterhaltung. Die liberale Prostitutionspolitik hat in diesem ältesten Teil der Stadt eine ganze Industrie entstehen lassen. Das Ergebnis ist Geschmackssache. Kurz vor Ostern hocken scharenweise rosa Hasen mit erigiertem Penis in den Auslagen. Rund um die Oude Kerk, die älteste Kirche der Stadt, stehen die schmalen Schaufenster der käuflichen Damen um diese Zeit dagegen noch leer. Auf einem Schild steht „Creative space“. Aber morgens ist tote Hose im Rotlichtmilieu. Von vier bis acht Uhr herrscht nämlich Prostitutionsverbot. Eine Frau lüftet ihr Bett. Gleich daneben öffnet ein kommunaler Kindergarten.
Auch die Coffeeshops, die dank liberaler Drogenpolitik Gras statt Getränke verkaufen, sind zu dieser Morgenstunde noch geschlossen. „The Bulldog“, ein Laden mit großflächiger Graffiti-Bemalung in der Ouderzijds Vorbugwal, ist ein erfolgreicher Pionier dieser Branche. In den siebziger Jahren aus einem Sexshop heraus gegründet, gibt es inzwischen etliche Bulldog-Filialen. Das Unternehmen bietet nun auch einschlägige Raucherprodukte über sein Online-Merchandising an.
Wir verlassen die Vergnügungsmeile und laufen entlang der Gracht am Ouderzijds Vorbugwal in südlicher Richtung bis zum Grimburgwal. Hier stoßen gleich drei Kanäle aufeinander, was die Grachtenboote zu besonders vorsichtigen Manövern zwingt. Jenseits des Wassers liegen die Gebäude der Universität von Amsterdam, eine der ältesten und größten Lehrstätten der Niederlande. Studiert wird aber auch hier erst später am Tag. Durch das Unigelände hindurch gelangen wir auf den belebten Muntplein-Platz. Rad- und Autoverkehr werden dichter, Straßenbahnen klingeln sich den Weg frei. Am benachbarten Bloemenmarkt ziehen die Verkäufer die Rollläden hoch. Wer Tulpenzwiebeln kaufen will, ist hier richtig. Wer Marihuanasamen sucht, wird ebenfalls fündig.
Wir laufen am Tuschinski Filmpalast vorbei. In dem prächtigen Art-déco-Bau aus den 1920er Jahren kann man in eindrucksvoll plüschigem Ambiente Kino, Cola und Popcorn genießen. Durch das Spiegelquartier mit seinen anregenden Kunstgalerien und Antiquitätengeschäften geht es nun im bedächtigen Endspurt zurück zum schon aus der Ferne gut sichtbaren Gebäude des Reichsmuseums.
Die großen Buchstaben von „I amsterdam“ werden inzwischen von asiatischen Frühaufstehern in Beschlag genommen. Die ersten Selfies sind im Kasten. Die Blumenbeete sind an diesem kühlen Märzmorgen indes noch nicht auf Touristen eingestellt. Erst später im April werden hier die Tulpen blühen. Das Wort Tulpe kommt wegen der Form von Turban, und ihre Ursprungszwiebel stammt aus der Türkei. Es passt ins liberale Bild der Niederlande, dass diese Königin aller holländischen Zwiebelgewächse einst eine Einwanderin war.
März 2016