Marathonlauf mit unbekanntem Ziel: Wie wir durch die Corona-Krise stolpern

Einkaufen in Corona-Zeiten: Einlasskontrollen, Abstand halten und viel Geduld

Es fühlt sich an wie ein harmlos dahin fließender Bach, der plötzlich anschwillt und uns alle mitreißt. Seit 8 Wochen leben wir im Ausnahmezustand, anfangs freiwillig, guten Mutes und gestärkt im kollektiven „Wir“-Gefühl: Wenn wir alle verantwortungsbewusst mitmachen, wird der Spuk schnell wieder vorüber sein! Doch von Tag zu Tag erfahren wir mehr über das Virus, und es dämmert uns, dass diese Krise kein voraussehbares Ende haben wird. Wir tasten uns vor, fahren „auf Sicht“ und blicken auf das „Infektionsgeschehen“ wie das Kaninchen auf die Schlange: Ein Krisentagebuch im Zeitraffer.

Mi, 11.3.2020

Merkel: „Whatever it takes…“

Die Bundeskanzlerin äußert sich erstmals öffentlich zur Corona-Krise. Es werde lange dauern und die Bundesregierung werde alles tun, um die Krise zu bekämpfen.  Das klingt verdächtig ähnlich wie jener berühmte Satz von Mario Draghi, mit dem der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank  im Juli 2012 die Rettung des Euro einleitete.

In der Geschichte der Fußball Bundesliga findet erstmals ein Spiel vor leeren Rängen statt. Mönchengladbach gewinnt gegen Köln. Wenige Tage später werden alle Profi-Fußballspiele auf unbestimmte Zeit abgesagt.

Sa, 14.3.

In den Läden gehen Toilettenpapier und Mehl aus. Die Menschen streiten sich um die letzten Pakete. Der niederländische Premier Mark Rutte versucht zu beruhigen und erklärt, dass „das Klopapier für 10 Jahre Kacken reicht.“ In den USA decken sich die Leute unterdessen mit Waffen ein.

Aus Italien sehen wir Bilder aus Bergamo, auf denen Leichen mit Militärfahrzeugen weggebracht werden.  Das macht uns Angst. So etwas wollen wir in Deutschland nicht erleben.

Eine alte Tante verstirbt. Die Beerdigungsfeier muss wegen Corona abgesagt werden.  

So 15.3.

Ein sonniger warmer Tag. In der Eisdiele Corona gönnen wir uns 2 Eisbällchen im Becher: Zitrone und Nougat.

Mo, 16.3.

Fast alle EU-Staaten haben ihre Grenzen dicht gemacht – erstmals seit Gründung der EWG vor 63 Jahren.

Weltweit rutschen die Börsenkurse weiter in den Keller.  

Helge Schneider muntert auf und rät allen Daheimgebliebenen zum Beispiel Brot zu backen oder wieder ins Bett zu gehen.  

Am Abend beschwört die Kanzlerin erneut das Volk: „Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst“.

Di, 17.3.

Hofvirologen und immer neue Fachbegriffe

Wir lernen jetzt Leute kennen, die sonst in der Anonymität arbeiten. Lothar Wieler, Direktor des Robert Koch Instituts, klärt die Öffentlichkeit regelmäßig über den Fortgang der Pandemie auf. Christian Drosten, Direktor der Virologie der Berliner Charité, erläutert in seinen Podcasts den aktuellen Forschungsstand. In nicht enden wollenden Talkshows tauchen immer neue Experten auf.

Do, 19.3.

Wie sieht das oder der Corona Virus eigentlich aus? Es ist so klitzeklein, dass man es nicht sehen kann. Man fühlt es nicht. Man riecht es nicht. Aber es hat einen Namen: SARS-CoV-2. Das steht für severe acute respiratory syndrome coronavirus 2. Und es löst die Lungen-Infektionskrankheit COVID 19 aus. Im Fernsehen flimmern jetzt täglich 3D-Grafiken des Virus über den Bildschirm. Sie sehen aus wie Apfelsinen, die mit roten Krönchen gespickt sind. Das erinnert mich an Weihnachtsdekoration.   

„Flatten the curve“ lautet nun das Gebot der Stunde. Die exponentiell ansteigende Kurve der Infektionszahlen soll flacher werden, damit die Krankenhäuser den zu erwartenden Ansturm der Intensivpatienten bewältigen können. Und begleitend sollen Menschen mit COVID 19-Verdacht getestet werden. So viele wie möglich. Doch die Testkapazitäten sind erst im Aufbau.

Fr, 20.3.  

Alle nach Hause!

Ich mache es mir zur Gewohnheit, immer freitags meine Orchideen zu gießen und anschließend die aktuellen Corona-Zahlen abzurufen: In Deutschland sind jetzt rd. 14.000 Infizierte und 31 Todesfälle registriert. Die offiziellen Deutschlandzahlen kommen vom Robert Koch Institut (RKI). Die Johns Hopkins Universität (JHU) veröffentlicht weltweite Zahlen, die davon abweichen. Wir gewöhnen uns auch daran.  

Die Bundesregierung chartert Flugzeuge, um über 200.000 im Ausland festsitzende Deutsche zurück zu holen. Darunter auch viele junge Menschen im Freiwilligendienst.  Träume zerplatzen. Familien schwellen ganz unverhofft wieder auf alte Sollstärken an. Auch unsere erwachsenen Kinder sind zeitweilig wieder zu Hause. Die Nerven sind angespannt.  

Auf einem noch hängen gebliebenen Abitur-Plakat vom benachbarten Gymnasium steht: „Erst Abi, dann Bali, dann die ganze Welt!“ Das war einmal. Abschlüsse in Schule, Ausbildung oder Studium sind auf einmal in Frage gestellt.

So, 22.3. 

Social Distancing“ ist jetzt angesagt. Ein Begriff, dessen Sinn sich erst im zweiten Anlauf erschließt. Denn sozialer Umgang miteinander impliziert ja immer auch gewollte Nähe. Nun aber gilt das Gegenteil. Wir helfen uns gegenseitig, so das neue Mantra, in dem wir voneinander Abstand halten und so vermeiden, das Virus zu übertragen. 

Mo, 23.3.

Das öffentliche Leben steht still. Die Wirtschaft bricht ein.

Ab heute sind Versammlungen von mehr als zwei Personen mit Ausnahme von Familien sowie in einem Haushalt lebenden Personen grundsätzlich verboten. Menschen sollen in der Öffentlichkeit einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten. Nicht lebenswichtige Geschäfte müssen geschlossen bleiben.

Auf einem Frankfurter Spielplatz

Di, 24.3.

Es hagelt weitere Absagen: Die Oberammergauer Passionsspiele werden auf 2022 verlegt, die Olympischen Spiele in Tokyo auf den Sommer 2021. 

Mi, 25.3.

Regierungen verabschieden riesige Rettungspakete.

Der Deutsche Bundestag beschließt in Rekordtempo ein großes Hilfspaket in Höhe von 600 Mrd. Euro. Die bisher so sakrosankte „schwarze Null“ im öffentlichen Haushalt fällt.

Der US Senat einigt sich auf ein nie dagewesenes Hilfspaket von 2 Billionen  US Dollar.

Wir fahren mit dem Rad durch Frankfurt. Die Stadt ist deutlich leerer als normal, die Menschen befolgen die Kontaktverbote. Polizisten patrouillieren. Die S-Bahn ist zur Hauptverkehrszeit fast menschenleer.

Do, 26.3.

Schon am Ende der ersten Woche des Versammlungsverbots werden Fragen immer lauter: „Wie lange noch?“ „Wie soll der Exit aussehen?“ Der Stillstand der Wirtschaft werde am Ende mehr Tote kosten, als eine Fortsetzung des öffentlichen Lebens, sagen manche vom rechten Rand der Gesellschaft. Noch widerspricht eine Mehrheit.  

Wir gehen wandern und genießen die Ruhe über den Feldern.

Später wird Gesundheitsminister Spahn sagen: „Dies ist die Ruhe vor dem Sturm!“ 

Die Stadt New York ist schon mitten drin. Vor den Krankenhäusern stehen riesige Kühlcontainer, in denen die Toten gelagert werden. 

Fr, 27.3.

In Deutschland sind jetzt fast 50.000 Menschen infiziert.

In Italien und Spanien sterben immer mehr Menschen. In manchen Krankenhäusern Spaniens liegen die Menschen mangels Betten auf dem Fußboden.

Der britische Premier Boris Johnson ist „Corona positiv“.

Sa, 28.3.

Die Stunde der Streaming-Künstler
„Küssen kann man nicht alleine“ beklagt der Sänger Max Raabe zu Recht. Viele Künstler versuchen, die Zuhörer mit Streaming Konzerten bei Laune zu halten. In dem herausragenden Programm Hope@home  (https://www.arte.tv/de/videos/RC-019356/hope-home/) bittet der Geiger Daniel Hope namhafte Künstler in sein Berliner Wohnzimmer und wirbt um Spenden für Betroffene der Corona-Krise.

Mo, 30.3.

In den Läden gibt es immer noch kein Klopapier. Als eiserne Reserve schneide ich eine Ausgabe der FAZ in handliche Streifen. Toilettenpapier ist übrigens 9,7 cm breit, damit es in jeden Halter reinpasst.

Dahinter steckt ein kluger Kopf

Di, 31.3.

Krise macht innovativ

„Atemmasken statt Büstenhalter“ titelt die FAZ. Der Wäschehersteller Triumph baut zusammen mit dem Klimaanlagenspezialist Mahle dringend benötigte Schutzmasken. 

Statt persönlich, treffen wir uns jetzt per Zoom und winken uns aus den Kachelfenstern im Laptop einander zu.

Fr, 3.4.

Die Zahlen steigen weiter an:  Weltweit gibt es nun über 1 Mio. registrierte Infizierte. In Deutschland sind es knapp 85.000 mit über 1000 Todesfällen.  In den USA wird mit 250.000 Opfern gerechnet.

Ein neuer Begriff taucht auf: Die „Verdoppelungszahl“ misst die Anzahl der Tage, die vergehen, bis sich die Zahl der Infizierten verdoppelt hat. Je mehr Tage verstreichen, desto besser. Die Bundeskanzlerin nennt als Ziel mindestens 10 Tage, Fachleute fordern 15. 

Despoten gehen mit der Pandemie auf ihre ganz eigene Weise um: Ungarns Viktor Orbán baut seine Macht aus, Präsident Aljaksandr Lukaschenko empfiehlt weißrussischen Wodka und Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hält die Seuche nur für eine kleine Grippe.

Keine guten Zeiten für Seefahrer. Kreuzfahrtschiffe und Flugzeugträger werden zu COVID 19-Fallen.

Sa, 4.4.

Die zweite Woche des Versammlungsverbots ist fast rum. Der Osterurlaub ist abgesagt. Stattdessen wird zuhause weiter aufgeräumt. Erstmals seit vielen Jahren haben nun alle unsere Tupper-Dosen wieder einen Deckel.

So, 5.4.

Premiumwandern und Klimawandel  

Wandern und Joggen heben die Stimmung in der verordneten Isolation und stärken die Abwehrkräfte!  Wir entdecken wunderschöne „Premiumwanderwege“, aber auch zunehmende Klimaschäden im Wald. Im Taunus werden Fichtenbestände großflächig gerodet, weil die Bäume von der Trockenheit geschwächt und von Borkenkäfern befallen sind. Die Auswirkungen des Klimawandels sind viel sichtbarer als das Corona-Virus. Und vielen Gemeinden fehlt wegen der Pandemie das nötige Geld für die Wiederaufforstung.

Vom Südhang des Taunus sieht man die Frankfurter Bankentürme in der Frühlingssonne glitzern. Sie stehen fast leer, weil die Angestellten im Home Office arbeiten. Vielleicht wird man in Zukunft weniger Bürotürme brauchen.  

Mo. 6.4.

Das Virus, so heißt es, behandelt alle gleich. Doch die gut ausgebildeten Mittelschichten arbeiten im geschützten Eigenheim. An der Front in den Supermärkten, Pflege- und medizinischen Einrichtungen ist das Ansteckungsrisiko ungleich größer.  In ärmeren Ländern sind Abstands- und Hygieneregeln kaum durchsetzbar. Und selbst in einigen reichen Industrieländern legt das Virus schonungslos Lücken in den Gesundheits- und Sozialsystemen bloß. Wer sich eine Behandlung nicht leisten kann, hat das Nachsehen. Vielleicht werden wir uns bald auf neue Migrationswellen einstellen müssen.

Mi, 8.4.

Vor dem Osterwochenende: Schon am frühen Morgen warten lange Menschenschlangen vor den Lebensmittelläden. Die Sicherheitsabstände werden ordentlich eingehalten. Es wird eingekauft, als stünde der Weltuntergang bevor.

Fr, 10.4.

Inzwischen gibt es fast 115.000 Infektionsfälle in Deutschland. Die Verdoppelungszahl ist auf 14 gestiegen.

Heute ist Karfreitag, der wichtigste Feiertag der Christen. Papst Franziskus zelebriert die Messe im leeren Petersdom.

Ostersonntag, 12.4.

Seit Beginn der Ausgangssperren herrscht Kaiserwetter in Deutschland. Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?

Kaiser-, Krönungs-, Corona-Wetter

Di, 14.4.

Berufe, die in normalen Zeiten wenig Beachtung finden, erfreuen sich nun besonderer Wertschätzung. Ärzte, Pfleger und Hilfskräfte in Krankenhäusern und Altenheimen, die Kassiererin im Supermarkt – sie alle werden jetzt von den Balkonen beklatscht. Doch macht sich die neue Anerkennung auch bezahlt?

In meinem Kalender notiere ich bei fast allen Terminen, wie z.B. Konzerte, Theater, Bandproben, Beratung, Yogakursen oder Reisen „WG. CORONA ABGESAGT“. Vielleicht wird es mich eines Tages interessieren, was ich alles verpasst haben werde. Vielleicht aber auch nicht.  Nur der Frühsport bleibt im Kalender. Der Mensch braucht eine Restroutine. 

Mi, 15.4.

Die Kontaktbeschränkungen werden verlängert. Kleinere Läden und Friseure dürfen ab 4.5. öffnen.  In den Schulen sollen die Abschlussklassen wieder Unterricht erhalten.

Der Internationale Währungsfonds erwartet für 2020 einen Wachstumseinbruch der Weltwirtschaft von 3 %, der höchste seit der Weltwirtschaftskrise 1929.

Fr, 17.4.

In Deutschland gibt es jetzt knapp 140.000 Infizierte. Fast 82.000 Menschen sind wieder genesen. Die Reproduktionsrate, der sog. R-Faktor, liegt bei 0,7. Das bedeutet, dass im Schnitt 10 Menschen 7 weitere anstecken.

Das ist eine gute Entwicklung. Und sie befeuert die öffentliche Debatte.  Welche Zielwerte sind nun für die weitere Öffnungspolitik relevant?  Alle Gesellschaftsbereiche und Interessengruppen melden sich zu Wort. Wirtschaft, Gesundheitswesen,  Schulen, Familien, Sport. Die Öffnungsdiskussion nimmt an Schärfe zu.

Di, 21.4.

Die „Neue Normalität“

Merkel geißelt die „Öffnungsdiskussionsorgien“. Doch die Ministerpräsident*innen der Länder reagieren mit eigenen Plänen. Der gesellschaftliche Konsens hat vier Wochen gehalten. Jetzt wird er zu einem Zeitpunkt brüchig, in dem die Pandemie zunehmend beherrschbar erscheint.  

Am Abend ein Besuch in Frankfurts Innenstadt.  Es ist ein warmer frühsommerlicher Abend. Die Menschen flanieren, joggen oder spielen in den Grünanlagen. Meistens zu zweit oder im Familienverbund.  Wir kaufen Essen-to-go. Beim Vietnamesen ist das alles längst Routine: Die Markierungen auf dem Pflaster, die große Plexiglasscheibe mit dem klein ausgeschnittenen Bestellfenster und die Bedienung, die dahinter ganz entspannt Karten spielt.

Fr, 25.4.

Weltweit haben sich fast drei Millionen Menschen nachweislich infiziert. Doch in einigen Ländern Europas nimmt die Zahl neuer Infizierter allmählich ab. In Deutschland sollen diese nun konsequent durch sog. Containment Scouts der Gesundheitsämter verfolgt werden, um neue Ausbruchsherde zu isolieren.

Doch wie lange werden sich die Kontaktbeschränkungen dann noch hinziehen? Vielleicht noch ein ganzes Jahr, bis ein neuer Impfstoff verfügbar ist? Oder werden zwischenzeitlich andere Behandlungsmethoden greifen?  Kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht gefühlte drei Stunden über Corona sprechen, streiten, nachdenken oder gar träumen. Längst hat uns die Krise erwischt und dominiert unseren Alltag. Wir werden unduldsamer. 

Erst die Brötchen, dann die Masken

Mi, 29.4.

Seit 3 Tagen ist in ganz Deutschland das Tragen von Mund- und Nasenschutz in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr Pflicht. Ich gehe erstmals mit Maske auf den Wochenmarkt und trage ein grün-weiß kariertes Modell aus der Werkstatt unserer Nachbarin. Meinen Einkaufszettel kann ich nicht lesen, weil die Brille beschlägt. Und das Kleingeld versuche ich gar nicht erst abzuzählen. Mir wird warm unter der Maske. Ich beobachte, wie viele Menschen an ihrem Gesichtsschutz herum nesteln, die Maske unter die Nase ziehen oder unterm Kinn tragen.  Ob sie im Alltag wirklich hilft?

Di, 4.5.

Fast alle Geschäfte sind jetzt wieder geöffnet. Friseursalons sind auf Wochen ausgebucht. Die Innenstädte füllen sich, doch die Kauflust der Menschen ist noch nicht wieder da.  

Mi, 6.5.2020

In Deutschland sind nur noch knapp 22.000 aktive COVID 19-Fälle registriert. Alle Indikatoren entwickeln sich weitgehend positiv. Haben wir es geschafft?  Hat sich das verantwortungsvolle Handeln aller am Ende ausbezahlt? Oder ist das Virus womöglich harmloser als gedacht und waren die Schutzmaßnahmen übertrieben? Ein Blick auf andere Länder zeigt, dass es viel schlimmer hätte kommen können.

Doch für den Augenblick ist unsere Geduld aufgebraucht. Es gibt kein Halten mehr, die Menschen wollen raus. Bund und Länder verkünden weitere Lockerungen. In jedem Bundesland fallen sie ein bisschen anders aus. Doch einen bundesweiten Maßstab zur Krisenüberwachung wird es weiter geben: Wird die Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einem Landkreis oder in einer Stadt erreicht, können verschärfte Schutzmaßnahmen ergriffen werden. 

Phase 1 der Corona-Krise ist vorbei. Keiner weiß, wann die zweite Welle kommt. Vielleicht schon im Herbst oder regional auch früher. Wir haben uns auf jeden Fall schon mal warmgelaufen.  

Aperol-to-go vor der Frankfurter Alten Oper

Tipps und Hinweise:

Alle wichtigen Informationen und aktuellen Zahlen zur COVID 19 Infektionskrankheit finden sich auf der Webseite des Robert Koch Instituts: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/nCoV.html

Eine mögliche Adresse für Corona-Betroffene weltweit ist die „Aktion Deutschland hilft“: https://www.aktion-deutschland-hilft.de/de/spenden/spenden/?wc_id=50649&ref_id=bing&msclkid=3f288a37950d1d6f803dd4828ac37bff

Alle interaktiven Hinweise zu Premium-Wanderwegen in Deutschland und Europa finden sich hier: https://www.wanderinstitut.de/

Der Skitourenkurs

Der Bergführer spurt, die Gruppe folgt.

Es ist Freitagmorgen um viertel vor sieben. Heute wollen wir zu unserer dritten und letzten Skitour auf die Hänge des 2674 m hohen Punta Lago Nero ein paar Kilometer südöstlich von Livigno aufbrechen. Wir, das ist eine zusammengewürfelte Gruppe von zwei Frauen und sechs Männern aus Deutschland und ein Bergführer aus Südtirol. An diesem letzten Tag unseres Skitourenkurses[1] fühlen wir uns schon ziemlich routiniert – und werden doch wieder jede Menge neue Herausforderungen erleben.

Das geht schon beim Ökofrühstück im Speiseraum unserer Unterkunft los. Gut beraten ist, wer sich gleich als erstes an der Saftmaschine anstellt. Denn hier herrscht großer Andrang, weil für den morgendlichen Vitaminbooster gefühlt alle Gäste Möhren und Äpfel, Gurken und Fenchel, Bananen und Kiwis passgerecht für den schmalen Hals des großen Wundersafters zerkleinern wollen. Mit besonderer Hingabe bereiten einige junge Damen in körperbetonter Skiunterwäsche ihren Gesundheitstrunk vor.

Doch wer pünktlich auf Tour will, darf sich von solchen Nebensächlichkeiten nicht ablenken lassen. Denn jetzt gilt es zu packen und vor allem darauf zu achten, dass alle Sicherheitsinstrumente zuverlässig im ABS-Lawinenrucksack verstaut sind. In unseren blauen DAV-Rucksäcken sind Airbags installiert, die sich mit einem Zug am Sicherheitsgriff explosionsartig zu zwei flügelähnlichen Polstern aufblasen. Ob sie helfen, in einer niedergehenden Lawine an der Oberfläche zu bleiben, haben wir zum Glück nicht testen müssen. Stattdessen bot sich uns ein bühnenreifes Schauspiel, als sich die Airbags einer Kollegin in der Gruppe versehentlich von selbst öffneten.

Topografische Karten, Lawinenlagebericht und viel Erfahrung helfen bei der Tourenplanung.

Zur Grundausrüstung beim Tourengehen gehören auch Lawinenschaufel und -sonde. Letztere ähnelt einer zusammenklappbaren Campingstange. In unserer Rettungsübung am Vortag konnten wir damit gut zwei Meter tief in die Schneemassen eindringen und nach verschüttenden Kameraden suchen. Das funktioniert gut, wenn der Piepser (d.h. das Lawinenverschüttungssuchgerät LVS) des Suchenden auf Empfang geschaltet ist und damit sehr präzise die LVS-Signale des Verschütteten lokalisiert. Das überlebenswichtige Piepsgerät schnallen wir also sorgsam um die Schulter und stellen es schon vor Verlassen des Hauses auf Sendung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, auch zu prüfen, ob noch genügend Saft in der Batterie ist.

Zurück zur heutigen Tour. Endlich geht es los. Die Autos haben wir in einem namenlosen Weiler in der Nähe des Örtchens Trepalle geparkt. Allen gelingt es inzwischen, die Tourenski im Vergleich zu den ersten Tagen relativ flott anzuschnallen – auch denjenigen unter uns, die mit der nicht sehr leichtgängigen Xenic 10 Tourenbindung von Fritschi unterwegs sind. „Beim Aufstieg sollen die Ski den Schnee streicheln“ rät uns der Bergführer. Denn jedes noch so kleine Anheben kostet unnötig Kraft.

Die Felle hatten wir schon zuvor in der Wärme des Skikellers aufgezogen. Auch das klappte schon viel besser als beim ersten Mal.  Denn die Felle müssen faltenfrei und passgenau auf die Laufflächen der Ski geklebt werden, so dass sie nach vorne gleiten und nach hinten das Abrutschen verhindern. Auch das „Abfellen“ am Berg verlangt ganz eigene Fertigkeiten. Das erlebten wir gleich am ersten Tourentag, als unser Bergführer am Ende eines eher gemächlichen Aufstiegs die steilste Stelle eines Hanges als Ziel- und Rastplatz auserkor. Beim Abziehen flatterten die Felle wild im eiskalten Wind durcheinander. Überall klebten sie fest, nur nicht auf der richtigen Stelle übereinander. Die Finger sind bei dieser Koordinationsübung viel schneller eingefroren, als man dies nach einer einschlägigen YouTube-Anweisung im temperierten Wohnzimmer für möglich gehalten hätte. „Auf Skitour gehen ist kein Badeurlaub“ sagte der Bergführer.

Wortlos setzt sich nun unser Führer in Bewegung. Er wird schon wissen, wo es lang geht, denken wir, und gleiten ihm ebenso wortlos hinterher. Doch schon nach ein paar Minuten gelangen wir in ein dichtes, steiles und scheinbar unpassierbares Waldstück. Nach dem sanftem Aufstieg vom Vortag steht heute offenbar eine Fortgeschrittenenprüfung auf dem Programm. Plötzlich spüren wir, wie die Kälte in uns hochkriecht und unsere Motivation auf die Probe stellt. Denn in diesem schattigen Nordhang auf über 2000m Höhe sind es sicher gute 10 Grad minus. Fühlen sich jetzt nicht auch die Druckstellen an den Füßen noch schmerzhafter an?

Doch dann erkundet unser Führer das Gelände und beschließt, eine deutlich angenehmere Route entlang eines Baches zu wählen. Kraft brauchen wir aber nun zur Überquerung des Baches. Denn dazu schnallen wir wieder ab und versinken prompt bis zu den Knien im Schnee, aber zum Glück nicht im eiskalten Wasser. „Ski bei extremer Hangneigung anschnallen“ könnte die nächste Übung heißen, denn bis wir alle wieder startklar sind, vergeht eine kleine Ewigkeit. Aber es kommt noch besser. Mit immer häufigeren Spitzkehren erklimmen wir jetzt einen ziemlich steilen Bergrücken. Was am flachen Hang so einfach erschien, wird jetzt zur Mühsal. Denn bei jeder Spitzkehre bergauf verfängt sich der nachgezogene Ski treffsicher im Hang. 

Direkt über uns entdecke ich jetzt eine bedrohlich überhängende Schneewechte. Schnell überprüfe ich, ob mein Airbagsystem wirklich entsichert ist und versuche zu rekapitulieren, was wir an den Vortagen zum Thema Lawinengefahr besprochen hatten. Aber nachdem wir alle Neune erfolgreich den Abhang herauf gekraxelt sind, entpuppt sich die Wechte als harmlos. Atemlos geht es weiter durch den kalten Morgen.

Sonne pur und verharschter Altschnee

Nach gut anderthalb Stunden Aufstieg schaffen es die ersten Sonnenstrahlen über den Berg. Zeit für eine erste Trinkpause und Entblätterung aus dem inzwischen viel zu warmen Zwiebellook. Unser wortkarger Bergführer ist offenbar mit unserer Leistung zufrieden, denn gut gelaunt erzählt er uns jetzt den klassischen Witz von der allein reisenden Ehefrau und dem gut aussehenden Skilehrer Kurt.

Nach rd. 700 Höhenmeter Aufstieg und Stunden später haben wir es endlich geschafft. Alle großen und kleinen Strapazen sind im Nu vergessen. Rundherum blicken wir bei strahlend blauem Himmel in ein winterliches Panorama der Schweizer, österreichischen und italienischen Alpen, das schöner nicht sein kann. „Berg Heil“ sagt unser Bergführer und fügt lakonisch hinzu, dass dieser Gipfelgruß längst aus der Mode gekommen sei. Denn heutzutage fragt man: „Hast Du Netz?“ Wie auf ein geheimes Kommando haben plötzlich alle ihre Smartphones in der Hand. „Schon über tausend Emails!“ klagt einer aus der Gruppe, obwohl das Jahr doch gerade erst angefangen hat. So einsam, wie es scheint, sind wir hier oben in der wilden Natur anscheinend doch nicht. Und als ob es einer weiteren Bestätigung bedurft hätte, knattert prompt ein Hubschrauber mit Heli-Skifahrern vorüber.

Blick auf die Berge um Livigno

Abwärts geht alles viel schneller. Am besten in der Falllinie. Doch wem das nicht so behagt, schafft es in den Steillagen auch mit Spitzkehre und Stemmbogen. Statt pulvrigem Neuschnee gibt es nur Altschnee, mal harschig festgeblasen, mal etwas lockerer. Und deshalb mutiert die Traumspur bisweilen zu einer breiten Ackerfurche.  

Doch keiner lässt sich davon die gute Laune verderben. Am Ende des Kurses sind wir froh, dass alle Knochen heil geblieben sind. Und am Abend, bei etlichen Flaschen guten Rotweins, reift die Erkenntnis, dass die nächste Skitour wieder von einem guten Bergführer angeführt werden sollte.


[1] Dieser Beitrag fasst die persönlichen Eindrücke des Autors von einem Tiefschnee- und Skitourenkurs des DAV Summit Club in Livigno im Januar 2020 zusammen.

Nützliche Infos zu Tourenvorbereitung und Lawinenkunde finden sich hier:

Klicke, um auf Panorama-6-2019-Tourenplanung-im-Winter_31229.pdf zuzugreifen


https://www.alpenverein.at/portal/news/aktuelle_news/2012_12_04_sicher-auf-skitour.php

Empfohlen werden Teil 1 und Teil 2.

Venedig: Und ewig lockt die Serenissima

Dogenpalast und Markuslöwe

Laufstrecke: Arsenale – Campo Santa Maria Formosa – Rialtobrücke – Campo da Pescaria – Campo San Polo – Campo dei Frari – Academia-Brücke  – Piazza San Marco – Arsenale – Giardini; 6,7 km.  (Anfahrt mit Vaporetto vom Lido) 

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Rundlauf gegen den Uhrzeigersinn

Das Vaporetto setzt ein Stück zurück, routiniert löst die Matrosin den Knoten von den Pollern, wirft das Hanfseil lässig über die Reling und verschwindet in der geheizten Kapitänskabine. „Prossima Fermata Santa Elena” sagt die Ansagestimme und dann für Ausländer noch einmal in venezianischem Englisch „Nexte Stope Santa Elena“. Und schon sind wir auf der Lagune unterwegs vom Lido zur Altstadt Venedigs. Früh morgens sind so gut wie keine Touristen an Bord. Die Passagiere dösen vor sich hin, zeigen sich stolz Babyfotos auf ihren Smartphones oder hören Musik.     

Heute Morgen möchte ich erleben, wie sich ein Lauf durch Venedig zum Sonnenaufgang anfühlt.  Es ist Herbst, und die Uhren ticken schon nach der Winterzeit.  Laut Wetter-App sollte die Sonne heute genau um Viertel vor Sieben aufgehen, doch tatsächlich bleibt sie hinter dicken Wolkenbänken verborgen. Als ich mit der Vaporettolinie Nr. 1 an der Haltestelle Arsenale, dem Ausgangspunkt meines Laufes, ankomme, setzt ein leichter Nieselregen ein. Es ist windig und kühl, und ich ziehe mir die Mütze tief in die Stirn. Trotz des miesen Wetters leuchtet helles Morgenlicht von der Lagune herüber. Der salzige Seewind in der Nase tut gut.

Vaporetto am Morgen

Von Arsenale zur Rialtobrücke
Zur Vorbereitung auf den Lauf habe ich versucht, mir die Geographie der Insel einzuprägen. In Venedigs Labyrinth ist es nahezu unmöglich einen Weg vorab zu planen. Per Google Maps und mit Stöpseln in den Ohren, so der Plan,  möchte ich mich deshalb von einem markanten Punkt zum nächsten navigieren lassen. Diese Orientierungspunkte sind meist große Kirchen und Plätze, deren Zweck es schon immer war, die Menschen zusammen zu führen.

 Heute werde ich nicht über die zahlreichen Kirchen und Paläste, an denen ich vorbei laufe, berichten. Das überlasse ich kundigeren Kennern der Stadt. Der niederländische Autor Cees Nooteboom ist so ein Venedigfanatiker. In dem jüngst erschienenen Band „Venedig. Der Löwe, die Stadt und das Wasser“ beschreibt er seine Streifzüge durch die Lagunenstadt.  Ebenso amüsant sind die Verfilmungen von Dona Leons Kriminalromanen mit dem schlauen Commissario Brunetti und seinem treuen Assistenten Sergente Vianello. Wer die Spuren der beiden vom Fernsehsessel aus verfolgt hat, ist schnell überzeugt, Venedig wie seine Westentasche zu kennen. 

Nach all diesen gewissenhaften Vorbereitungen dauert es nicht lange, bis ich mich verlaufe und in der ersten Sackgasse lande. Denn wenn der Weg durch wirklich schmale Gassen führt, verpasst selbst der Google Maps Navigator die richtige Abzweigung. Es ist ja ganz beruhigend, dass die Digitalisierung der Welt ihre Grenzen in Venedigs mittelalterlichen Häuserschluchten findet. Ich stehe nun also unvermittelt vor einem Seitenkanal. Leise plätschernd fährt ein Kahn der Müllabfuhr vorbei. Der Mann an der Pinne trägt einen knallgelben Arbeitsanzug. Hoch oben zwischen den Häusern  hängt Wäsche auf der Leine. Alles ist nach Größe sortiert: Jeans, Hemden, Unterrock, T-Shirts, Unterhosen, Socken.   

Auf dem Platz vor der Santa Maria Formosa Kirche hat schon ein Café geöffnet. Gedämpftes Licht dringt aus der Ladentür. Ein älterer Herr hat seinen Stuhl auf die Schwelle gerückt und schlürft seinen Kaffee. Er scheint mich zu beobachten und denkt sich vermutlich seinen Teil über Touristen, die zu dieser frühen Stunde über den Platz joggen und seine Ruhe stören.  

Mein erstes Etappenziel von Arsenale aus ist der Fischmarkt. Auf der benachbarten Rialtobrücke begegne ich einem Straßenkehrer und ein paar Tauben, die sich durch meine Schritte in keiner Weise aus der Ruhe bringen lassen. Später am Tag wird die Rialtobrücke zu einem der dichtesten Verkehrsknotenpunkte der  Stadt. Die Verkehrspolizisten in ihren adretten gelb-schwarzen Jacken erklären dann die schmalen Zugangsgassen wegen Verstopfung zu Einbahnpfaden. So entstehen schnell kilometerlange Menschenkolonnen, die sich wie Polonaisen an Karneval langsam durch die Altstadt schlängeln. Ich habe erfahren, dass weit über 10 Millionen Übernachtungsgäste jährlich nach Venedig kommen, dazu addieren sich mindestens ebenso viele Tages- und Kreuzfahrttouristen. Ob die geplanten Eintrittsgelder zukünftige Touristen von einem Besuch abhalten werden, bleibt abzuwarten. Einstweilen genieße ich es, früh morgens ganz alleine über die Stufen der Rialtobrücke zu joggen.

Frischer Fang auf Venedigs Fischmarkt

Zum Fischmarkt geht es gleich rechts um die Ecke. Im Schein der Laternen sind die Händler damit beschäftigt, den frischen Fang aus den weißen Styroporkästen auszupacken. Auf dem Boden liegen zwei große Schwertfische, die vermutlich bald zu Filetstücken zerlegt werden. Geduldig warten Möwen neben der Markthalle, weil sie wissen, dass demnächst reichlich Fischabfälle für sie übrig bleiben wird.  Gleich neben dem Fischmarkt in den Arkaden findet sich ein  Bankschalter der Bancogiro. Über der Eingangstür thront eine Statue der Mutter Gottes. Angesichts der eher prekären Lage italienischer Banken bleibt es offen, ob Maria die Kunden vor der Bank oder die Bank vor den Kunden schützen soll.

Westlich des Canale Grande
Das Viertel westlich des Canale Grande wirkt weniger touristisch. Hier gibt es kaum Wegweiser und auch mein Navi im Ohr verführt mich immer wieder in kleine Hinterhöfe, an Kanäle oder in dunkle Sottopassaggi, also Unterführungen, die nicht wirklich weiter führen. So erlebe ich das Viertel noch intensiver, und es scheint mir, dass hier viele Venezianer tatsächlich noch selber leben und nicht alle Häuser und Wohnungen zur Vermietung an Touristen umgestaltet haben.  Denn nur noch rd. 60.000 Menschen wohnen dauerhaft in der Lagunenstadt, früher waren es deutlich über 100.000 Einwohner. Einer von ihnen will gerade seinen Hund auf dem Campo San Polo Gassi führen. Doch dann hat er sich auf eine Parkbank gesetzt und sein Smartphone herausgezogen. Auch Hunde können warten.   

Hund mit Herr am Campo San Polo

Auf dem Campo dei  Frari wird es nun deutlich lebhafter.  Menschen eilen zur Arbeit oder poltern mit ihren Rollkoffern über  die holprigen Wege. An der nahen Università Ca‘ Foscari  beginnt der Vorlesungsbetrieb, denn viele junge Menschen eilen herbei und vermitteln dabei den Eindruck, als hätten sie noch keine Zeit für den Morgenkaffee gehabt. Ich laufe  auch immer wieder an Antiquitätenläden vorbei. In einem Schaufenster stehen zwei große schwarze Mohrenfiguren in goldenem Rock. Den linken Arm strecken sie als Kerzenständer in die Höhe. Solche Reliquien aus der Kolonialzeit sind offenbar nicht auszurotten. 

Endlich tauchen an den Mauern die gelben Wegweiser zur Academía auf. Dort möchte ich über die Brücke wieder auf die andere Seite des Canale Grande gelangen.  Natürlich hätte ich den Kanal am liebsten wie ein echter Venezianer auf einem Traghetto überquert, also mit einer Gondel, auf der man für kleines Geld stehend ans andere Ufer übergesetzt wird. Doch leider verkehren diese Boote erst ab 9 Uhr morgens.

Schiffsprozession am Canale Grande

Aber auch der Weg über die Academía Brücke  ist überaus lohnend und wird mit einem einzigartigen Rundumblick belohnt. Rechts und links die vornehmen Paläste, die buchstäblich im Wasser zu stehen scheinen, davor die buntgestreiften Pfähle mit den Anlegestellen für die Hausboote. Unten in der Fahrrinne des Kanals eine nicht enden wollende Prozession von Booten, Lastkähnen, Vaporetti, Gondeln und Taxischiffen.  Und am Horizont schiebt sich ein Kreuzfahrtschiff in den Guidecca Kanal hinein. Es ist so groß, dass die Gebäude ringsum wie Spielzeughäuser erscheinen. Eigentlich hat die Stadtverwaltung beschlossen, die Kreuzfahrtschiffe aus der Altstadt zu verbannen, da sie erhebliche Umwelt- und Erosionsschäden verursachen. Doch die Kreuzfahrtpassagiere wollen Venedig pur erleben, und die Schiffe spülen hohe Hafengebühren in die Stadtkasse.  

Bis zur Piazza San Marco ist es jetzt noch ein guter Kilometer.  Ich wähle ganz bewusst nicht den direkten Weg über die Calle Larga, an der sich die Häuser der Luxusmarken aneinander reihen. Viel lieber gönne ich mir einen letzten labyrinthischen Umweg,  beobachte in einem Seitenkanal wie Gondolieri  ihre eleganten schwarzen Boote für die Touristen herrichten,  überquere Brücken und Kanäle und durchlaufe so enge Durchgänge, dass ich mit beiden Händen rechts und links die Mauern berühren kann. An den kitschigen Glasfiguren in den Souvenirläden, die ganz bestimmt nicht alle aus Murano stammen, merke ich, dass ich mich nun Schritt für Schritt dem großen Platz mit der San Marco Kathedrale nähere.

Über Treppen und Brücken

San Marco for Lovers
Und  da liegt der Platz nun fast menschenleer vor mir. Am Rande der Arkaden unzählige Kaffeetische, an denen niemand sitzt und in der Mitte des Platzes ein einsames chinesisches Hochzeitspaar. Sie in weißem langen Kleid und trotz herbstlicher Kühle mit nackten Oberarmen. Er lässig mit langer beiger Jacke über dem T-Shirt. Immer wieder laufen sie in aufflatternde Tauben hinein. Ihr Fotograf gibt nicht auf, bis er das ultimative Venedigfoto auf der Speicherkarte hat.

Quer über den Markusplatz laufe ich nun vorbei an der reichen Fassade der Kathedrale und an hochgestapelten Laufstegen für das  drohende Hochwasser Acqua Alta, das die Stadt nur wenige Tage später auf überaus zerstörerische Weise heimsuchen wird.  Ich bin jetzt auf dem weitläufigen Platz angekommen, der sich zur Lagune hin öffnet. Links der weiße Dogenpalast, rechts der geflügelte Markuslöwe hoch oben auf einer Standsäule. Venedigs Herren haben ihre Machtsymbole mit Bedacht ganz unübersehbar an den Eingang zur Stadt platziert.  „Die allerdurchlauchteste Republik des Heiligen Markus“ nannten sie selbstbewusst ihre Stadt. Das macht Eindruck, bis heute.   

San Marco am Morgen

Den letzten Kilometer  trabe ich nun gen Osten an der Riva degli Schiavoni entlang bis zur Station Giardini. Der Regen hat längst aufgehört, aber das fahle Licht bringt die noch feuchten Bodenplatten zum Leuchten. Tagsüber voller Touristen und  Souvenirverkäufer, ist diese wunderschöne Flaniermeile am Ufer der Lagune am Morgen den Einheimischen und Frühsportlern überlassen.  Kaum zu glauben, dass hier vor wenigen Tagen noch Tausende Läufer ins Ziel des Venedig-Marathons rannten.  Ich genieße die Ruhe und freue mich über meinem ganz persönlichen Altstadtlauf durch das Labyrinth von Gassen, über Treppen und Brücken, vorbei an Kirchen und Palästen. Noch habe ich den Geruch des Brackwassers der Kanäle, von frischem Kaffee und Fisch in der Nase und in meinen Kopf läuft der Film ab über die Menschen, denen ich auf meinem Weg begegnete und die der Stadt an diesem Morgen neues Leben einhauchen.

Nexte Stope Santa Elena” sagt die Ansagestimme jetzt wieder. Und dann noch ein paar Minuten weiter bis zum Lido. Zufrieden lehne ich mich zurück und genieße das Schaukeln des Schiffes auf den ewigen Wassern der Serenissima.

Licht und Schatten: Ein Lauf durch Krakóws Geschichte

Marktplatz Rynek Glowny mit Tuchhalle

Rundlauf durch Altstadt und Kazimierz-Viertel: Josefa Sarego, Planty, Barbakane, Florianstor, Florianska, Marktplatz Rynek Glowny, Grodzka, Maria Magdalena Platz, Kanonicza, Wawel, Weichselufer, Weg des Heiligen Stanislaw,  Paulinerkloster, Ulica Skalezna, Augustianska, Swietej Katarzyny, Josefa, Nowa, Plac Nowy, Izaaka,  Jakuba, Josefa, Bartosza, Szeroka, Remu Synagoge, Miodowa, Podbrzezie, Brzozowa, Dietla, Josefa Sarego;  6 km.

6 km Kraków gegen den Uhrzeigersinn

Joggen ist in Kraków (deutsch: Krakau) ein beliebter Frühsport. Entlang der Weichselauen geht es beliebig weit nach Süden oder Norden. Populär ist auch die 4 km lange Route im Grüngürtel rund um die Altstadt. Planty nennen die Krakauer diese grüne Oase, in der einst die Stadtmauer verlief. Ich entscheide mich für den historischen Königsweg mitten durch die Altstadt und verbinde ihn mit einer Erkundung des alten jüdischen Viertels Kazimierz.

Mein Lauf beginnt im gut bürgerlichen Stadtviertel Stradom, südöstlich der Altstadt. Alter Baumbestand säumt die  Häuserfassaden aus der Gründerzeit. Bis zum Grüngürtel Planty ist es nur ein Katzensprung.Die Menschen beginnen den Tag auf ganz verschiedene Weise: Studenten traben entspannt ihre Runden,  Berufstätige machen sich mit zügigen Schritten auf zur Arbeit, und manch einer schläft noch fest eingemummelt auf einer Parkbank.  Die Bäume zeigen schon eine herbstliche Färbung, der Asphaltboden glänzt vom Regen der Nacht.  Hier und da stehen Elektroroller herum, denn auch Krakau ist von dieser neuen Welle nicht verschont geblieben. 

Auf dem Königsweg
Nach einem guten Kilometer Parklandschaft stoße ich am nördlichen Ende der Altstadt auf einen kreisrunden Wehrbau, genannt Barbakane.  Ende des 15. Jahrhunderts wurde er zusammen mit dem benachbarten Florianstor als Teil der Stadtmauer errichtet. Über diese Anlage betraten polnische Könige und Fürsten seit jeher die Stadt, durchquerten sie mit ihrem Gefolge von Nord nach Süd und gelangten so auf den Wawel, den Sitz  polnischer Königsdynastien, majestätisch auf einem Hügel hoch über der Weichsel gelegen.

Musiker grüßen am Florianstor

Jahrhunderte später folge ich den königlichen Spuren und erlebe die noch weitgehend intakten Gotik-, Renaissance- und Barockfassaden dieser über 1000 Jahre alten Stadt, die schon 1978 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Doch die Zeitläufte sind auch in Krakau, das inzwischen zum Touristenmekka Nummer 1 in Polen aufgestiegen ist, nicht spurlos vorüber gegangen.  Nett ist, dass man am Florianstor (allerdings erst später am Tag, wenn die Touristen hereinströmen)  sogleich von Straßenmusikanten begrüßt wird. Weniger beeindrucken die zahlreichen Fast-Food-Restaurants. Kurios sind dagegen die vielen Kebab-Stände, denn sie werden augenscheinlich nicht von türkischen Dönerspezialisten, sondern von Einheimischen betrieben. Angesichts der vielen trinkfreudigen Wochenendtouristen überrascht die Dichte der Bierhäuser dagegen nicht.

Am  frühen Morgen aber schlafen die Touristen noch, der große Marktplatz Rynek Glowny  ist fast menschenleer und die Tauben haben den Platz fast ganz für sich. Die beiden ungleichen Türme der Marienkirche ragen steil in den rötlichen Morgenhimmel. Würde man hineingehen, gäbe es den Hauptaltar des Nürnberger Bildhauers Veit Stoß zu bewundern, doch das Werk aus dem 15. Jhd. wird gerade restauriert. Ebenso empfehlenswert wie sportlich ist der Aufstieg hinauf auf den Turm, denn von oben hat man einem grandiosen 360 Grad Blick über die Stadt.  Bei klarem Wetter reicht er nach Nordosten bis hin zum einstmals größten Stahlwerk der Welt in Nowa Huta. Die Kommunisten bauten für die Arbeiter des Werks eigens eine neue Stadt.  Der große sozialistische Zukunftstraum ist zwar geplatzt. Doch als innovatives Stadtentwicklungskonzept bleibt Nowa Huta bemerkenswert. Das Stahlwerk backt inzwischen kleinere Brötchen und gehört nun zum ArcelorMittal Konzern.

Tauben an Marienkirche

Tuch, Salz und Bunzlauer
Ich bleibe heute Morgen  am Boden und jogge an der im Renaissancestil erbauten Tuchhalle, die mitten auf dem großen Marktplatz steht,  vorbei. Lange galt sie als eine der wichtigsten Handelsplätze Mitteleuropas, weil Krakau zentrales Drehkreuz der mittelalterlichen Handelsrouten war.  Reich geworden sind die Krakauer mit Tuch, Leder, Salz und Bernstein. Heute findet man unter den Souvenirs vor allem das hübsche blau-weiße Bunzlauer Geschirr, das allerdings inzwischen in vielen weiteren Farb- und Geschmacksvariationen angeboten wird.     

Bunzlauer weiß blau

 Geld wird auf dem Rynek Glowny  jedoch nicht nur mit Geschirr, sondern auch mit Kutschfahrten verdient. Später am Tag werden auf dem Marktplatz wieder die schneeweißen Kutschen mit ihren prächtig heraus geputzten Haflingern in Reih und Glied stehen. Auf den Kutscherpritschen werden hübsche junge Damen Platz nehmen und um die Gunst der Touristen buhlen. Wenn es dann aber bei Antritt der Fahrt ernst wird, haben die Männer wieder die Zügel in der Hand.


Männer dominieren auch auf den großen Plakaten, mit denen die Parteien für die bevorstehenden Parlamentswahlen werben. Die Zeichen stehen ganz auf Wiederwahl der regierenden nationalkonservativen PiS Partei.  Sie wirbt mit dem schlichten Slogan: „Jaroslaw GO WIN“. Jaroslaw Kaczyński, der Chef der Partei  für „Recht und Gerechtigkeit“ scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein.[i]  Die großzügige  Sozial- und Familienpolitik der PiS ist populär. Dass aber die Partei ihre Macht im Staat immer weiter ausbaut, wird von den Wählern weniger kritisch als von ausländischen Beobachtern wahrgenommen.  

Männer für den Sjem

Kirche und Familienwerte
Die PiS fordert auch immer wieder Reparationszahlungen von Deutschland ein. Gänzlich verwundern solche revanchistischen Gedanken auch 80 Jahre nach Kriegsbeginn nicht.  So erfährt man auf dem Marktplatz von Krakau, dass die Nazis den Platz nach dem Überfall auf Polen 1939 in „Adolf-Hitler-Platz“ umbenannt hatten.  Und im nahegelegenen Auschwitz und Birkenau wird daran erinnert, dass Nazideutschland in Polen nach Schätzung von Historikern über 5 Mio. Menschen, davon 3 Mio. Juden umgebracht hat.  

Ich laufe nun weiter auf der Grodzka Richtung Süden. Zahllose Kirchen, Kapellen und Klöster säumen den Weg. Fast 90 soll es davon in Krakau geben. Und fast 90 % aller Polen bezeichnen sich als Katholiken. Ganz offensichtlich spielt die katholische Kirche im Leben der Menschen eine wichtige Rolle. Und dies trotz oder wegen der fast 45 Jahre währenden Herrschaft der Kommunisten. Denn in den Monaten vor dem Regimewechsel im Jahr 1989 waren die Kirchen der zentrale Ort des passiven Widerstands.

Während ich die Grodzka weiter herunterlaufe, sehe ich schon von weitem die zwölf Apostel. Sie stehen überlebensgroß vor der Peter-und-Paul-Kirche am Rande des Maria Magdalena Platzes. Zufall oder Referenz an die geheimnisvolle dreizehnte Jüngerin Jesu?  

Jesuitenkirche Peter-und-Paul

Beim Anblick der Peter-und-Paul-Kirche fühlt man sich sofort an Rom erinnert, denn die Ende des 16. Jhd. erbaute Barockkirche ist ein Nachbau der nur kurz zuvor errichteten Kirche Il Gesù. Die römische Version ist das Mutterhaus des von Ignacio von Loyola gegründeten Jesuitenordens. Der Krakauer Bau wirkt nicht weniger unbescheiden.

Wojtyla und Kopernikus
Nur wenige Meter weiter, in der Kanonikergasse, eine der ältesten und schönsten Straßen Krakaus, erinnert ein großes Foto an den Mann, der hier lange residierte und später zum weltweit einflussreichsten polnischen Katholiken aufstieg. Die 1978 erfolgte Wahl Karol Wojtylas zum Papst war eine Sensation.  Viele Historiker und Zeitzeugen sind der Meinung, dass seine sanfte aber entschiedene Freiheitsbotschaft an die polnischen Katholiken den Anfang vom Ende der kommunistischen Herrschaft in Polen einläutete. Millionen von Menschen besuchten seine Pastoralmessen in Polen, obwohl die Behörden alles taten, um genau das zu verhindern. Krakau feiert seinen berühmten Sohn bis heute mit Statuen, Fotos und Memorabilien an allen Ecken der Stadt.

Da gerät fast in Vergessenheit, dass Krakaus Universität einige Jahrhunderte zuvor mit Nikolaus Kopernikus einen Wissenschaftler hervorgebracht hat, dessen Wirken nicht minder  revolutionär war.  Entgegen der damals herrschenden Weltanschauung wies er nach, dass sich die Erde um die Sonne dreht  –  und nicht umgekehrt. Eine Fußnote der Geschichte ist, dass die katholische Kirche die Erkenntnisse von Kopernikus bis ins 18 Jhd. negierte und seine Arbeiten auf den Index stellte.

Jan Pawel II. to go

Inzwischen bin ich etwas atemlos oben auf dem Wawel Hügel angekommen.  Mit der Statue des Johannes Paul II. grüßt hier ein inzwischen schon alter Bekannter. Ihm direkt gegenüber steht die Kathedrale, in der sich die polnischen Könige – übrigens auch noch nach dem Umzug der Hauptstadt von Krakau nach Warschau im Jahr 1596 – krönen und bestatten ließen. Über einen Seiteneingang gelangt man in die Krypta, in der der am 10. April 2010 bei dem Flugzeugabsturz von Smolensk verunglückte Präsident Lech Kaczyński zusammen mit seiner Frau Maria Helena beigesetzt wurde. 86 weitere polnische Würdenträger flogen damals mit in der Unglücksmaschine, um im nahegelegenen Katyn der Ermordung polnischer Offiziere durch die Rote Armee zu gedenken. Der Präsident erhielt seine Ruhestätte bemerkenswerterweise in der Königsgruft. Sein Zwillingsbruder  Jaroslaw  ist seitdem Polens neuer starker Mann.   

Völkermord in Krakau  
Ich laufe nun an der Südseite des Wawel  über ein paar steile Stufen bis zum Ufer der Weichsel hinunter und steuere quer durch die Gärten des Paulinerklosters auf das ehemals jüdische Kazimierz Viertel zu. Benannt nach dem im 14. Jhd. regierenden König Kasimir dem Großen, lebten hier lange Juden und Christen trotz mancher Übergriffe einigermaßen friedlich nebeneinander. Später wurde der Ort eingemeindet und Juden erhielten in ganz Krakau freies Wohnrecht. So wurde Krakau nach Warschau zu einem der bedeutendsten jüdischen Zentren in Polen. Kazimierz aber verfiel, und es blieben nur noch ärmere Juden zurück. Bis 1939 lebten in Krakau rd. 65.000 Juden, etwa ein Viertel der damaligen Stadtbevölkerung. Heute wird ihre Zahl auf unter Tausend geschätzt.

„Empress of Beauty“: Helena Rubinstein aus Kazimierz

Auf den ersten Blick wirkt Kazimierz immer noch ein wenig herunter gekommen. Von manchen Fassaden bröckelt der Putz.  Ich laufe durch Straßen, die jüdische Namen wie Jakob, Josef und Isaak tragen. Ich sehe auch, wie einige der alten Synagogen renoviert und offenbar wieder als Gotteshäuser genutzt werden. Straßen werden aufgebuddelt, um neue Versorgungsleitungen zu legen. Edle Geschäfte und stylische Kneipen öffnen ihre Türen. Im Viertel tut sich etwas.  Kazimierz wird Zug um Zug renoviert und ist zum Ausgehviertel von Krakau geworden. In den Kneipen wird der  Klezmer jetzt für die Touristen gespielt.

An einer Hauswand entdecke ich ein auffälliges Porträt: Ein Frauengesicht mit einer durchsichtigen Binde über den Augen. Eine Plakette klärt auf: Das ist Helena Rubinstein, die weltweite Ikone der Schönheitsindustrie. Sie ist in Kazimierz geboren – und rechtzeitig vor dem Holocaust ausgewandert.  

Unweit der großen alten Synagoge in der Szeroka Straße stoße ich eher zufällig auf eine fast schon verblichene Inschrift, die in polnischer, hebräischer und englischer Sprache auf Backsteinmauern gemalt wurde: „In Memory of the Bosak Family, Residents of Kazimierz, 1633-1941“. Mit diesen schlichten Worten wird an die Ermordung einer jüdischen Familie in Kazimierz erinnert. Alle Juden in Krakau wurden ab 1939 von den Nazis systematisch verfolgt, in das Getto Podgórze am anderen Ufer der Weichsel verbracht, erschossen oder in Arbeits- und Vernichtungslager deportiert. Steven Spielberg erinnert mit seinem Film „Schindlers Liste“ an ihr Schicksal, gleiches tut ein gut dokumentiertes Museum in den Räumen der nahegelegenen Emailfabrik Oskar Schindlers.

Stilles Gedenken

Hoffnung Europa
Ein paar Straßenecken weiter bin ich wieder im gut bürgerlichen Viertel von Stradom angelangt. Zum Frühstück nun ein Cappuccino. Was aber bleibt hängen? Die Erinnerung an Straßen, Wege und Plätze voller Geschichten, an einen unvergleichlichen Völkermord, an leidgeprüfte Menschen, die immer wieder aufgestanden sind, und an eine engagierte junge Bevölkerung, die trotz oder vielleicht gerade wegen der wiederholten Übergriffe der Nachbarländer wie kaum eine andere an ihre Zukunft in Europa glaubt.


[i] Bei den Parlamentswahlen am 13.10.2019 wird die konservative PiS-Partei wieder mit Abstand stärkste Kraft und kann ohne Koalitionspartner weiter regieren. Wenige Tage zuvor wird Olga Tokarczuk, eine starke aufklärerischen Stimme Polens, der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Oostende aan Zee: Von Königen und Überlebenskünstlern

Der Maler James Ensor auf dem Balkon des Casinos von Ostende (1929; Mu.Zee, Oostende)

Rundlauf: Royal Astrid Hotel – Warschaustraat – Leopold 1 Plein – Leopold Park – Leopold Il Laan – Jachthafen – St. Paulus en Petrus Plein – Kaaistraat – Groente Markt – Wapenplein – Vlaanderenstraat – James Ensorhaus – Van Iseghemlaan – Kapucijnenstraat – Hofstraat  – Londenstraat – Langestraat – Schippersstraat – Ooststraat – Visserskaai – Zeeheldenplein – Albert I Promenade – Casino – Koning Boudewijn Promenade – Leopold II Reiterstandbild – Schwimmbad – Royal Astrid Hotel; 5,9 km

Rundlauf durch die Altstadt; 5,9 km
Bewegte Zeiten
 
 „Il y a deux sortes de temps
Y a le temps qui attend
Et le temps qui espère…“

 
„Es gibt zwei Arten von Zeit
Die Zeit die wartet
Die Zeit die hofft…“  

Aus: Jacques Brel, Francois Rauber, L’Ostendaise, 1968  (Das Mädchen aus Ostend)

Als die Alliierten 1944 Ostende mit einem Bombenhagel von der deutschen Wehrmacht befreiten und die Stadt damit in Schutt und Asche legten, schien die große Zeit für die Stadt am Meer endgültig vorbei zu sein.  

Noch um 1900 galt Ostende als das mondänste Seebad an der Nordsee, in dem sich Aristokraten und ihr Hofstaat trafen. Casino, Pferderennbahn und Strandcafés sorgten für standesgemäße Unterhaltung. Die Sommerresidenz der belgischen Könige verlieh dem Ort zusätzlichen royalen Glanz. Dieser Mixtur von frischer Seeluft und dekadenter Extravaganz wollten sich auch Künstler und Literaten nicht verschließen. So kamen auch deutschsprachige Autoren nach Ostende –  bis zu jenem schicksalhaften Sommer 1936, als der jüdischen Freundesgruppe um Stefan Zweig und Joseph Roth allmählich dämmerte,  dass es für sie keine Zukunft mehr in Hitlerdeutschland geben würde[1].

Ostende gestern…

Ostende aber bot nicht nur royale Reality Shows und Literatentreffs, sondern war lange Zeit auch bedeutender Handelshafen mit Verbindungen bis nach China und Indonesien. In dem Lied „L’Ostendaise“ trifft der Chansonnier Jacques Brel die dissonanten Töne einer Stadt, in der ein junges Mädchen hoffend und bangend zugleich auf ihren Liebsten wartet. Als Matrose ist er auf den Weltmeeren unterwegs und wird vielleicht nie wieder nach Hause kommen. Das Mädel tröstet sich schließlich mit dem ortsgebundenen Apotheker.  

Seevergnügen für alle

Heute hat Ostende die Bedeutung als Handelshafen längst an Antwerpen verloren. Und auch die  Fährfahrten über den Kanal nach Dover haben ihren Betrieb eingestellt.

Ostende heute

Doch Ostende blickt unverdrossen in die Zukunft. Seeluft und Strand, Garnelen und Bier, Unterhaltung und Kunst und eine Straßenbahn entlang der gesamten belgischen Küste: Da ist viel  Vergnügliches für große und kleinere Geldbeutel dabei.  Die 10-stöckigen Apartmenthäuser entlang der Uferpromenade sind zwar wahrhaftig keine Augenweide, aber sie ermöglichen immerhin Urlaub für jedermann:  Jung und Alt, Familien und Schülergruppen, Rollstuhlfahrer und Go-Kart-Piloten.   

Wer durch Ostende streift, entdeckt Spuren, Prunk und Protz einer bewegten Vergangenheit, aber auch eine Auseinandersetzung mit drängenden Fragen der Gegenwart. Ostende ist Seebad, Ort der Zerstörung, des Wiederaufbaus und Künstlerstadt zugleich. Die Nähe zum Meer hat schon immer alle Sinne der Menschen herausgefordert.

Viertelvorsieben

Ich starte meinen Rundlauf am längsten Morgen des Jahres. Eine steife Meeresbrise sorgt für frische  12 Grad Celsius. Es ist noch ruhig in der Stadt an diesem Samstag, den 22. Juni. Nur die Möwen sorgen mit ihrem unnachgiebigen Gekreische dafür, dass der Morgenschlaf ein frühes Ende findet.  

Los geht es vom Hotel Royal Astrid, westlich der Altstadt, ein Straßenzug südlich der Strandpromenade gelegen.  Über die frisch gepflasterte Warschau Straat laufend, auf der gerade ein Hündchen mit älterer Dame im Schlepptau sein Häuflein hinterlassen hat, stoße ich gleich zu Beginn auf den ältesten Vertreter der belgischen Königsdynastie:  Auf dem Leopold I Platz steht das Reiterstandbild des ersten Königs der Belgier auf einem so hohen Sockel, dass man befürchtet muss, dass er da womöglich herunterfallen könnte. 1831 wurde Leopold I inthronisiert. Mit der Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden suchte man einen König und wurde im deutschen Adelsgeschlecht Sachsen-Coburg-Saalfeld fündig.

Weiter geht es durch den hübsch angelegten Leopold Park, der zu dieser frühen Stunde gänzlich den Enten, Nilgänsen und Schwänen gehört.   Nur am Südende des Parkweihers tauchen plötzlich vier Frauenköpfe auf. Das Wasser steht ihnen buchstäblich bis zum Halse. Und doch blickt jede von ihnen mit sanftem Lächeln in eine der vier Himmelsrichtungen.  Woran sie in dieser unbequemen Lage gerade denken mögen, das bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen. „Allegorische Köpfe“ hat der Künstler Leo Coppers seine Bronzen genannt. 

Sandkönigin

Nun laufe ich ein kurzes Stück südwärts auf der mehrspurigen Leopold II Laan bis zum Yachthafen. Leopold II. folgte seinem Vater 1865 auf den Thron und blieb dort bis zu seinem Tode 1909. Er entwickelte sich zu einem auch für damalige Verhältnisse brutalen Kolonialisten, der das spätere „Belgisch-Kongo“ als sein persönliches Eigentum ansah und gnadenlos ausplünderte.  Leopold gerierte sich nicht nur als absolutistischer Monarch sondern auch als gewiefter Geschäftsmann, denn mit den Kautschuk-, Kupfer- und Elfenbeinexporten aus der Kolonie ließ sich gutes (oder eher schmutziges) Geld  verdienen. Historiker schätzen, dass Leopolds Ausbeutungsregime im Kongo bis zu 10 Millionen Tote hinterlassen hat. In Ostende aber lebt die Erinnerung an ihn ungetrübt weiter,  denn er hat auch die Modernisierung der Stadt voran gebracht. Ich werde Leopold II. auf meinem Lauf noch einmal wiedersehen.   

Gleich gegenüber vom Bahnhof liegt der hübsche kleine Yachthafen.  Ich umrunde das Becken und laufe zu einem prachtvollen Dreimaster, der alle anderen Boote um Längen überragt. Es ist nicht die Gorch Fock, sondern ein ehemaliges belgisches Segelschulschiff namens Mercartor, das ebenfalls auf allen Weltmeeren unterwegs gewesen ist und nun ohne viel Wind zum Museum ausgebaut wurde.  Vom Hafen ist es nur ein Katzensprung zum großen Platz mit der Sint-Petrus-en-Paulus Kirche.   Die beiden schmalen neugotischen Türme bilden so etwas wie das Wahrzeichen der Stadt. Egal, ob man sich Ostende mit dem Radl von Süden her über das flache Land oder von Osten zu Fuß aus der Dünenlandschaft von Bredene nähert, die Türme  sind markante Spitzen in der Stadtsilhouette.    

Nun kommt allmählich Leben auf. Auf dem Groente Markt sind die Gemüse-und Obststände schon aufgebaut. Und man wäre nicht in Belgien, wenn die Fleischhändler nicht auch die köstlichsten Patés in die Auslage stellen würden. Und natürlich stehen auf dem Markt auch die Frittenbuden mit ihren spitz zulaufenden Tüten, die dafür sorgen, dass beim Herausklauben der letzten Fritte die ganze Hand wunderbar mit Mayonnaise eingeschmiert wird.  

Auf dem benachbarten Wapenplein öffnet an diesem Samstag nun auch der Kleidermarkt.  Ein Shop hat ein halbes Dutzend eleganter Kleiderpuppenbeine aufgehängt und ihnen bunte Socken übergestreift.   Das ist ein schöner Hingucker, auch wenn ich heute Morgen keine frischen Socken brauche.

Stadt der Künstler
Was mich eigentlich interessiert, ist das Haus in der Vlaanderenstraat 27. Ein schmales  unscheinbares Reihenhaus, eingezwängt zwischen zwei großen Apartmentblocks. Der Rollladen vor dem ehemaligen Souvenirladen im Erdgeschoss ist heruntergelassen. Ein Schild erklärt, dass das Haus wegen Renovierung geschlossen ist.  Hier also lebte und arbeitete der große Ostender Maler und Zeichner James Ensor über 40 Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 1949.  Ensor wird immer wieder als „Maler der Masken“ und Vorläufer des Expressionismus bezeichnet. In einer Sonderausstellung im Kunstmuseum Mu.Zee zeigt sich, dass  Ensor tatsächlich auch ein begnadeter Landschaftsmaler und Zeitzeuge seiner Heimatstadt war.  Einflüsse aus dem Impressionismus sind offensichtlich und sein virtuoses Spiel mit dem Licht lässt erahnen, dass er sich auch von William Turner inspirieren ließ.

ROA (2016): Schlafende Nagetiere

Auf dem Weg vom James Ensors Haus zum Hafen stoße ich in der Hofstraat ganz unvermittelt auf sechs überdimensionale aufeinanderliegende Nagetiere. Dieses Bild, das der bekannte belgische Street-Art Künstler RAO mit fein ziselierten schwarzen Strichen an die Brandmauer eines vierstöckiges Eckhauses gesprayt hat, verfehlt seine verstörende Wirkung nicht. Denn als Mensch sieht man sich angesichts dieser schlafenden Ungeheuer ganz ungewohnt in die Perspektive des Underdogs gedrängt.  

RAOs Werke, die häufig Tiere oder Tierkadaver in den Vordergrund rücken, finden sich an vielen Hauswänden der Welt wieder, so auch in Kreuzberg in Berlin.  In Ostende sind sie das Produkt eines regelmäßigen Street Art Festivals, zu dem die Stadt namhafte Kunstsprayer einlädt und auf diese Weise manch schäbige Häuserfassade in neuem Gewande erstrahlen lässt. Auf meinem Stadtrundlauf werde ich auf weitere Street-Art Künstler stoßen.

Leckerbissen
Auch wer des Flämischen nicht mächtig ist, wird ahnen, dass auf dem Visserskaai die Buden der Fischverkäufer nicht weit sein können.  Und natürlich sind hier die kleinen grauen Nordseegarnelen der Verkaufsschlager.  Wer mag, kann sie z.B. bei Viesboetiek Siska auch gleich in einem morgendlichen Fischsuppeneintopf genießen.  Für das längste Wochenende des Jahres haben sich die Stadtmanager zudem weitere Leckerbissen ausgedacht. 

A l’Ostendaise

Denn am östlichen Ende der großen Seepromenade, auf dem Zeeheldenplein, dem Platz der Seehelden,  bieten 24 Ostender Köche ebenso viele kulinarische Kreationen rund um die Nordsee an. Erhöhter Speichelfluss wird garantiert.   

Gleich nebenan findet die Sand City Dreams Ostende  statt, ein Sandskulpturenfestival mit über 40 Künstlern aus aller Welt.  Wer allerdings glaubt, dass hier einfach nur der herumliegende Nordseesand kunstvoll aufeinander gehäufelt wird, irrt gewaltig: Die Macher des Festivals versichern, dass eigens tonnenweise Grottensand aus den Ardennen herbeigeschafft wurde. Denn nur dieser Sand weist die nötige Festigkeit auf, damit die Kunstwerke auch mehrere Wochen lang Wind und Wetter trotzen können.  Stolz wird darauf verwiesen, dass dieses angeblich größte Event seiner Art im Guinness Buch der Rekorde aufgeführt wird.

Auf einem großen Platz der Promenade, die nach dem angesehenen König Albert I. (als Nachfolger des ungeliebten Leopold II.) benannt ist,  hat der Künstler Arne Quinze zerbeulte orangefarbene Metallquader platziert.  „Rock Strangers“ nennt er seine Installation und provoziert damit gezielt gemischte Gefühle der Betrachter bei der Begegnung mit Fremdem und Ungewohntem.  Prompt hagelt es bei „Tripadvisor“ jede Menge Kritik an den unförmigen „Kästen“.

Arne Quinze (2012): Rock Strangers

Zeit für Frau Königin?
Zur Abrundung des Laufes  jogge ich nun über die lange und breite Uferpromenade in westlicher Richtung zum Ausgangspunkt zurück.  Dieser Teil der Promenade ist nach dem von 1951 bis 1993 amtierenden König Baudouin benannt.  

Immerhin vier belgischen Königen bin ich heute Morgen schon begegnet. Diese bemerkenswert innige Referenz der Stadt an das belgische Königshaus hat vielleicht sogar eine segensreiche Wirkung, denn es wird von vielen Menschen trotz mancher royaler Verirrungen als eine letzte verbindende Institution in einer auseinanderdriftenden Nation angesehen. Flamen und Wallonen liefern sich seit Jahren einen erbitterten politischen Streit, der die Regierungsfähigkeit des Landes immer wieder in Frage stellt.

Auf der Promenade aber richte ich nun den Blick auf die vielen im Fußboden eingelassenen Sterne und Sternchen.  Denn sie erinnern an die SchauspielerInnen, die an den jährlichen Ostender Filmfestspielen teilnehmen.  Das Motto der jungen Leiterin Lynn van Royen für die Festspiele 2019 lautet: „Who run the world? Girls!“ Das hätte sich wohl keiner der allesamt männlichen belgischen Könige so ausgedacht.

Ostende am Abend



[1] Volker Weidermann, Ostende 1936, Sommer der Freundschaft, Kiepenheuer & Witsch, 2014

Pralles Leben am Morgen: Ein Lauf durch die Altstadt von Kathmandu

Mädchen setzt einen roten Punkt (Tika) auf die Stirn

Rundstrecke entgegen des Uhrzeigersinns: Hotel Annapurna, Durbar Marg (Königspalaststrasse),  Neuer Königspalast, Narayanhiti Path, Thamel Viertel, Thamel Marg, J.P. Marg, Swachapu Marg, Thahiti Platz, Chandra-mang Singh Marg, Kathesimbhu-Stupa, Chittadhar Marg, Asan Square, Siddhidas Marg, Durbar Square, Basantpur Square, New Road, Kantipath, Bir Hospital, Jamal Street, Durbar Marg, Hotel Annapurna;  rd. 5 km.   

Rundlauf durch Kathmandu

Wer durch die Altstadt von Kathmandu laufen will und mit nepalesischen Schriftzeichen nicht sonderlich vertraut ist, der muss sich auf seinen Orientierungssinn verlassen. Denn (englischsprachige) Straßenschilder sind die Ausnahme. Online-Karten helfen bei der groben Laufplanung, doch Details bleiben dem Zufall überlassen. Es ist indes nützlich zu wissen, dass die nepalesische Bezeichnung „Marg“ auf Deutsch „Straße“ bedeutet.

Ich laufe gegen 6:30 Uhr bei angenehmen Morgentemperaturen los. Der nächtliche Regen hat die Luft zum Glück ein wenig gereinigt, denn die Luftqualität im 1300 Meter hoch gelegenen  Kathmandu gilt im weltweiten Vergleich als besonders gesundheitsgefährdend. Der Autoverkehr hat in der 1,7 Millionenstadt in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, doch die Einhaltung von Abgasnormen gilt hier nicht als oberste Priorität. Heute früh aber sind die Straßen noch leer.  

Mord im Königspalast
Das altehrwürdige Annapurna Hotel im Zentrum Kathmandus ist ein guter Ausgangspunkt für einen Altstadtlauf. Auf der Durbar Marg, also der großzügig angelegten Straße zum Königspalast, steuere ich zunächst in nördlicher Richtung auf ein nicht sonderlich ansehnliches,  in den 1970er Jahren erbautes Palastgebäude zu. Dreißig Jahre später, genau am 1. Juni 2001, fand hier die Jahrhunderte alte nepalesische Monarchie ein jähes Ende, als einer der Söhne des Königs nahezu die gesamte Familie mit einer Handfeuerwaffe niedermetzelte. Die New York Times mutmaßte seinerzeit, dass ein Streit zwischen Eltern und Sohn um die Wahl der „richtigen“ Braut auf das Blutigste eskaliert war. Es folgten Jahre des Bürgerkriegs und gewaltvoller Machtkämpfe. Seit 2008 ist Nepal eine – wenn auch fragile – parlamentarische Demokratie. Gegenwärtig wird es von einem sogenannten kommunistisch-sozialistischen Parteienbündnis regiert. Nur die inzwischen 90 jährige Königinmutter „Her Majesty Queen Mother Ratna of Nepal“ residiert noch in dem als Museum umgewidmeten Palastgelände. Dort wird sie ebenso verehrt wie geduldet. Lokale Zeitungen berichten, dass man ihr wegen unbezahlter Rechnungen auch mal den Strom abschaltet.

Vom ehemaligen Königspalast laufe ich in östlicher Richtung in das bei Touristen beliebte Thamel Viertel weiter. In der Thamel Marg sind in den Morgenstunden lediglich ein paar Cafés geöffnet, ansonsten sorgen Müllmänner für saubere Straßen und Lieferanten für Nachschubware. Tagsüber und abends bietet das Viertel neben allerlei Unterhaltung auch interessante Einkaufsmöglichkeiten, so z.B. handgeschöpftes Papier aus Baumrinde aus den Höhenlagen des Himalayas. Wegen seiner besonderen Qualität wird das Papier auch von Fachgeschäften in Deutschland vertrieben. 

Das reiche Universum der hinduistischen Götter
Aufs Geratewohl laufe ich nun in südlicher Richtung durch die Altstadtgassen und entdecke immer wieder neue große und kleine hinduistische Tempel, mal mitten auf einer Straßenkreuzung, mal versteckt in Hinterhöfen.  Die viereckigen Bauten sind zumeist dreistöckig angelegt und werden auf jeder Etage mit geschwungenen Pagodendächern verziert, die sich nach oben hin verjüngen. Es heißt, dass die Stockwerke für die drei wichtigsten Gottheiten im Hinduismus stehen: Brahma, der Schöpfer, Vishnu, der Erhalter und Shiva, der Vernichter und Erneuerer. Dieses Trio steht an der Spitze eines spirituellen Universums, das mit rd. 330 Millionen (!) Gottheiten selbstverständlich nicht nur alle monotheistischen Religionen, sondern auch die illustren Charakterköpfe des griechischen Olymps in den Schatten stellt. 

Hinduistische Pagode auf dem Durbar Square

Am Asan Square treffe ich auf den Tempel der Gottheit Ganesha, die sich auch in unseren Breiten besonderer Beliebtheit erfreut. Ganesha gilt als Glücksbringer. Dargestellt wird er gern als buntbemalte Figur mit Elefantenkopf, großen Ohren und einem beleibten menschlichen Körper. Mit seinem nicht unbeträchtlichen Gewicht reitet er ausgerechnet auf einer Maus. Nicht nur die Maus, sondern jedes Tier, das mit den zahlreichen hinduistischen Gottheiten in Verbindung gebracht wird, genießt besondere Hochachtung und Schutz.  Dazu gehört nicht nur die sprichwörtliche „heilige Kuh“. In Kathmandu sind es offenkundig auch die unendlich vielen Tauben, die rund um die Tempelanlagen mit Maiskernen gefüttert werden. Auch Hunden ist in Nepal ein eigener Feiertag gewidmet, denn sie gelten als die Hüter der Häuser und des Himmels.

Rd. 80% der rd. 30 Millionen Nepalesen sind Hindus, 9% Buddhisten.  Schon in den frühen Morgenstunden beobachte ich Frauen und Männer, die Tempelanlagen ausfegen, mit Blumen schmücken oder dort einfach nur zur Andacht verweilen. Manchmal sind es auch ganze Familien mit Kindern und bunten Luftballons, die sich gemeinsam zum Gebet treffen.  Früher brachte man neben Blumenschmuck auch Tieropfer dar. Heute bieten Devotionalienverkäufer praktischerweise Schalenstücke von Kokosnüssen an, deren „Behaarung“  das Tieropfer ersetzen.

Auf dem mühsamen Pfad  der Erleuchtung
Südlich des Thahiti Platz gelange ich über eine Seitengasse zur tibetisch-buddhistischen Kathesimbhu-Stupa aus dem 17. Jahrhundert. Der Platz strahlt eine wohltuende morgendliche Ruhe aus. Hunde liegen schlafend kreuz und quer auf dem Platz, Tauben gurren friedlich vor sich hin, Gebetsfahnen flattern leise im Morgenwind. Was als Gebäude einfach so da zu stehen scheint, hat in Wirklichkeit einen tieferen spirituellen Sinn. Denn die Architektur der Stupa ist der buddhistischen Lehre vom Streben nach Erleuchtung nachempfunden. Die übereinander geschichteten Bau-elemente – quadratische Grundfläche, kreisrunder Sockel mit großer weißgekalkter Kuppel, turmförmiger goldfarbener Aufbau mit den stilisierten Augen des Buddhas und ganz oben ein Schirm auf der Spitze – symbolisieren die Figur des Buddhas und zugleich die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Leere/Himmel. Dies gilt auch für die gelben, grünen, roten, weißen und  blauen Farben der tibetischen Gebetsfahnen, die sternförmig von der Stupa herabhängen. An der Spitze der Stupa ist nach dieser Vorstellung die erleuchtete Weisheit angesiedelt. Sie kann nur ein Buddha erreichen, der mühsame Weg dorthin aber sollte mit Hilfe der Tugend, Meditation und Weisheit das Ziel menschlichen Strebens sein.

Kathesimbhu-Stupa

Der Leiter einer tibetisch-buddhistischen Malschule wird später erläutern, dass die Kunst der Mandalas darin besteht, die Spiritualität der Stupas – wie aus der Vogelperspektive betrachtet – zweidimensional abzubilden.  Im Zentrum und damit an der Spitze steht die Lotusblüte, stellvertretend für den o.g. Schirm,  als Zeichen der vollendeten Erleuchtung. Die von außen zur Mitte hin sich verjüngenden Vierecke und Kreise symbolisieren die fortschreitenden Stufen der Erleuchtung – des Körpers, der Sprache und des Denkens – auf dem Wege dorthin.

Für einige Augenblicke lasse ich die ruhestiftende Ausstrahlung dieses Ortes auf mich wirken. Ich spüre, ohne es noch vollständig zu begreifen, warum auch in unserer westlichen Gesellschaft diese Philosophie des Loslassens, der bewussten Abkehr von den wahrgenommenen Zwängen des Alltags, eine zunehmende Faszination ausübt.  Das häufig bemühte Wort von der Achtsamkeit in der Lebensführung leitet sich letztlich aus der Gedankenwelt des Siddhartha Gautama ab. Also des Mannes, der rd. 500 Jahre vor Christus zum Begründer des Buddhismus wurde.    

Im Schritttempo über den Straßenmarkt  
Welch ein Gegensatz, als ich schließlich ein paar Straßenecken weiter auf den quirligen Asan Square und den Straßenmarkt auf der Siddhidas Marg gelange! Spätestens hier ist Joggen nicht mehr möglich. Morgens um sieben ist offenbar zentrale Einkaufszeit.  Die etablierten Läden sind zwar noch geschlossen, aber etliche Marktstände haben sich auf der Straße ausgebreitet. Langsam folge ich dem Menschenfluss in Richtung Durban Square. Was auf den ersten Blick wie ein buntes Durcheinander aussieht, folgt einer eigenen Ordnung. Auf meinem Weg liegt zunächst die Männerbekleidung aus: Hosen, Hemden, T-Shirts, Unterwäsche. Dann folgt die Damenabteilung mit einem auffallend großen Angebot an Büstenhaltern. Ein Stück weiter die Straße hinunter kommen Plastik-latschen, Taschen und Koffer, bis die Auslage schließlich zu den Nahrungsmitteln übergeht. Das Kathmandu-Tal ist offensichtlich sehr fruchtbar, denn die Auswahl an Obst, Gemüse und Kräutern kann sich sehen lassen.  Dazwischen umsorgen Teeverkäuferinnen Anbieter und Kunden.  Als Fremder tauche ich erfreulich unbeachtet in dieses eindrucksvolle Marktgeschehen ein.  Ich nähere mich dem Durbar Square, und deshalb finden sich nun vermehrt Blumenstände mit den typischen zu Girlanden aufgezogenen gelb-orangenen Tagetesblüten. In den Tempeln sind diese Blumengirlanden ein beliebtes Ornament.  

Blumenverkäuferinnen auf dem Straßenmarkt

Handwerkskunst und Politik am Durbar Square
Durbar Square heißt so viel wie Königspalastbezirk.  Die über 40 hinduistischen und buddhistischen Tempel, Schreine und Paläste aus dem 12. bis 18. Jahrhundert bilden ein einzigartiges Weltkulturerbe, das jedoch erheblich unter dem Erdbeben von 2015 gelitten hat.  Etliche Gebäude werden mit hölzernen Stützpfeilern vor dem Einsturz bewahrt. Unübersehbar ist, dass die Tempel  vor allem mit chinesischer und japanischer Hilfe restauriert werden. Das rote Logo „China Aid“ prangt an fast jeder Ecke. Der südliche Nachbar Indien erscheint dagegen für den westlichen Besucher weniger präsent. Dennoch beherrschen  indische Unternehmer den lebenswichtigen Güterverkehr mit dem Nachbarland. Nepal steckt in einer politischen Sandwichposition. Daher ist es Staatsräson, mit den beiden benachbarten Großmächten gute Beziehungen zu pflegen.

Das zeigt sich auch für den Wiederaufbau auf dem Durbar Square. Denn eine Besonderheit der alten Gebäude sind die überaus kunstvoll gestalteten Fenster-, Tür- und Giebelornamente aus geschnitztem Holz. Sie sind das Werk der seit Jahrhunderten auf dieses Handwerk spezialisierten ethnischen Gruppe der Newari, die im Land hohes Ansehen genießen. Es wird erzählt, dass es zwischen Nepal und China eines intensiven Dialogs bedurfte, bis Newari-Facharbeiter angemessen an den von China finanzierten Restaurationsarbeiten beteiligt wurden.

Der schwarze Bhairav

Für die Einheimischen ist der Bezirk der alten Königspaläste das soziale und kulturelle Zentrum der Stadt. Auch zu einer Tageszeit, in der kaum ein Tourist zu sehen ist, herrscht hier ein reges Treiben. So auch vor der großen Figur des schwarzen Bhairav, einer Inkarnation des Gottes Shiva. Wer hierher kommt, ist gut beraten, die Wahrheit zu sagen. Denn der Bhairav schwingt bedrohlich ein großes Schwert. Wer lügt, so die Überlieferung, den tötet er mit einem Hieb.  Vor dem Schrein treffen sich auch junge Paare. Ob sie sich hier ewige Treue versprechen?   

Einzigartig ist der Palast der Kumari. Die Kumari ist ein junges Mädchen aus der Ethnie der Newari. Es wird als kleines Kind auserwählt und bis zum Zeitpunkt der ersten Menstruation als Gottheit verehrt.  Im Innenhof ihres Palastes warten die Menschen jeden Tag neugierig darauf, dass sich das Mädchen am Fenster zeigt. Mit etwas Glück geschieht das am Nachmittag. Als ich morgens den Innenhof betrete, ist er leer. Nur ein älterer Herr sitzt am Fenster.

Der Durbar Square lädt zum endlosen Verweilen und Herumschauen ein. Deshalb haben es sich hier auch die Rikscha-Fahrer bequem gemacht. Und auf den Stufen der Tempel vergnügen sich tagsüber  junge Nepalesen mit Selfie-Aufnahmen.

Ich setze meinen Rundlauf quer über den Basantpur Square fort. Das ist der Platz der Souvenirhändler, die zu dieser Stunde beginnen, ihre reich bestückten Stände aufzubauen. Wem es gelingt, den Anpreisungen der Händler zu widerstehen und den Platz mit leeren Händen zu verlassen, der muss schon die asketischen Eigenschaften der berühmten Sadhus besitzen. Sadhus werden als heilige Männer verehrt und halten sich in hinduistischen Tempelanlagen auf. Sie tragen lumpenähnliche Bekleidung und treten mit bunt bemalten Gesichtern auf. Für einen 50 Rupien-Schein setzen sie sich bereitwillig für ein Foto in Pose. Manche nennen sie deshalb auch Schein-Heilige.  

Die letzten Kilometer laufe ich über größere Straßen zum Hotel zurück.  Auf der sogenannten New Road  haben sich etliche moderne Geschäfte und Finanzinstitute angesiedelt. Auffallend ist die große Anzahl der Goldjuweliere,  denn nepalesische Frauen – das habe ich auch in den abgelegensten Bergdörfern beobachtet – investieren ihr Erspartes gerne in Goldschmuck. Das schafft Sicherheit.

Auf dem großzügig angelegten Kantipath Boulevard jogge ich an einem der größten öffentlichen Krankenhäuser der Stadt vorbei. Das Bir Hospital genießt eigentlich einen guten Ruf, doch vor dem Eingang bilden sich schon in den frühen Morgenstunden lange Schlangen wartender Patienten.  Eine örtliche Zeitung berichtet von einem Streik der Ärzte,  die bessere Arbeitsbedingungen einfordern. 

Zurück im Hotel grüßt das Wachpersonal formvollendet in Livree. Trekker schlurfen mit schweren Beinen zum Frühstückssalon. Die Wandertour liegt ganz offensichtlich schon hinter ihnen, und vielleicht haben sie auch schon Kathmandu besichtigt. Bald werden sie wieder ein Flugzeug besteigen und eine faszinierende Welt hinter sich lassen.

Über den Pass

Manaslu im Morgenlicht

Zwölf Tage durch Nepals ursprüngliche Bergwelt rund um den Manaslu

Strecke und Tagesetappen: Mit dem Bus von Kathmandu nach Soti Khola (730 Höhenmeter, Start), Machhakholagaon (930 m), Jagat (1410 m), Dyang (1800 m), Namrung (2660 m), Lhogaon (3180 m),Samagaon (3530 m), Manaslu Basecamp (4400 m), Samdo (3690 m), Dharmashala (4470 m), Larke Bhanyang (Pass, 5106 m), Bimtang (3720 m), Gho (2560 m), Dharapani (1860 m, Ziel), mit Jeeps und Bus zurück nach Kathmandu.

Der folgende Beitrag beschreibt persönliche Eindrücke einer Trekking Tour mit dem DAV Summit Club rund um den Achttausender Manaslu in Nepal im März/April 2019.

Beim frühen Abendessen im unbeheizten Speiseraum des Bergcamps von Dharmashala erklärt uns unser Bergführer Ram Bahadur Lama den Ablauf der bevorstehenden Überquerung des 5106 m hohen Larke Passes. Es wird unsere Königsetappe werden.  Erst 900 Meter Aufstieg, dann 1700 Meter Abstieg in den Weiler Bimtang. Ein langer und anstrengender Weg, zu dem wir um 4 Uhr morgens aufbrechen wollen. Das bedeutet: Um 3 Uhr aufstehen, Rucksack packen, frühstücken.  Dann, so betont Ram  immer wieder aufs Neue, werden wir in langsamem, sehr langsamem Tempo  losgehen. Es ist Mittwoch, der 3. April 2019 und zugleich der 10. Tag unserer Trekkingtour rund um das Manaslu Massiv in Zentral-Nepal. 

Über schmale Wege und Hängebrücken hinauf durch die Budhi Gandaki Schlucht

Am 25. März begann die Tour in dem Weiler Soti Khola am Budhi Gandaki Fluss. Der Ort liegt noch in einer subtropischen Klimazone und ist der vorläufige Endpunkt einer gerade noch mit Bussen befahrbaren Straße. In gut zehn durchgerüttelten Stunden sind wir aus Kathmandu angereist. Nun tauchen wir in die Welt der Maultier-Karawanen und Lastenträger ein, die in diesen Regionen ohne Straßen seit jeher den Warenverkehr sicherstellen. Neun Tage werden wir immer flussaufwärts, mal bergauf, mal bergab,  durch die beeindruckenden Schluchten des Budhi Bandaki Flusses, über abenteuerlich schwankende Hängebrücken und durch idyllische Dörfer der Gurung Bauern wandern.  Immer begleitet vom heftigen Rauschen des Gebirgswassers und dem kräftigen Odem der Maultiere.  Unsere Führer mahnen, beim Vorbeizug der Karawanen immer bergseitig zu warten. Denn manch einen hat so ein Maultier mit seiner Last schon mal in die Tiefe geschubst. „Bleib niemals hinter dem letzten Esel zurück!“  könnte ein weiteres nepalesisches Sprichwort lauten. Denn auch in diesem abgeschiedenen Tal hält die Moderne allmählich Einzug und jeder will daran Anteil haben. Bautrupps fräsen derzeit eine Straße Kilometer für Kilometer in die steilen Felsen der Budhi Gandaki Schlucht hinein. Manche sagen, dass der Fahrweg einmal bis nach Tibet führen soll.

Maultierkarawanen erledigen den Warenverkehr

Der Buddhismus prägt das Leben
In den subtropischen  Zonen bis rd. 2000 Höhenmeter begegnen wir Affen, Bananenbäumen und Ananasstauden. Weiter bergan blühen tiefrot die Rhododendronbäume. Wir treffen auf tibetisch-stämmige Bauern, die ihre Felder traditionell mit Ochsen und Pflugscharen bestellen und auf einen zornigen alten Mann, dem sein Yakbulle ausgebüchst ist. Tief sind die Menschen in ihrer buddhistischen Welt verwurzelt. Bunte pagodenähnliche Torchörten, häufig versehen mit den stilisierten Augen Buddhas, zieren die Dorfeingänge. Wir lernen, immer links an den Gebetsmühlen und den Mani-Mauern, die  mit Buddha-Darstellungen und uralten Sanskritfragmenten verziert sind, vorbei zu laufen. In alten eindrucksvollen Klöstern auf den  umliegenden Hügeln wird der Mönchsnachwuchs ausgebildet. Auf über 3000 Höhenmeter treffen wir auf Yaks,  Ziegen- und Hühnerhaltung. Frauen kümmern sich um die Haustiere und Feldfrüchte. Männer sind für das Führen der Transporttiere in den Güterkarawanen zuständig.   



Hoffen auf die Trekkingtouristen
Doch die größte Hoffnung auf ein besseres Leben scheint auf den Trekkingtouristen zu ruhen. Noch gilt die Route rund um den Manaslu als Geheimtyp. Denn hier sind noch deutlich weniger Wanderer unterwegs als etwa auf der populären Annapurna-Runde oder auf dem Weg zum Everest Base Camp. In den Dörfern auf unserer Strecke werden immer neue Unterkünfte gebaut. Hubschrauber fliegen das schwere Baumaterial aus dem Tal herauf. Vielleicht ist die Ursprünglichkeit dieser Gegend bald  schon Vergangenheit.  

Ankunft in Samagaon (3530 m)

All diese Eindrücke liegen am 3. April schon hinter uns. Jetzt sind wir auf 4470 m Höhe, alleine inmitten der weißen Riesen. Alle ahnen, dass die bevorstehende Nacht  nur ein kurzes Ausruhen erlauben wird. Die chinesischen Biwakhütten aus Wellblech halten die kalten Winde zwar ganz gut ab, doch über dem Fußboden aus blankem Fels rinnt Schmelzwasser. Vor kurzem hatte es hier noch kräftig geschneit. Schneehaufen drücken gegen die Rückwände der Hütten. Da bieten auch die als Schlafunterlagen lose auf den Fels gelegten Holzplanken wenig Schutz. Die Schlafmatten aus dünnem Schaumstoff haben die Feuchtigkeit dankbar aufgesogen und sind klammkalt und nass.

Die Nacht vor dem Pass
In Anbetracht der Kälte wird das abendliche Zähneputzen kurzerhand gestrichen, doch der unvermeidbare Gang zum Klohäuschen bleibt ein erhöhtes Risiko. Die kurze Wegstrecke durch vereisten Schnee ist schlecht geräumt und rutschig,  die Standfläche über dem Abortloch spiegelglatt wie eine frisch abgezogene Eisbahn. Etwas verkrampft klammere ich mich am unbehauenen Mauerwerk fest.

Die Daunenschlafsäcke sind nun unser letzter warmer Zufluchtsort.  Gut, dass ich beim Einkauf nicht gespart habe.  In den subtropischen Nächten war der Schlafsack noch viel zu warm.  Doch hier oben, bei Temperaturen von deutlich unter null Grad Celsius, bin ich für jede Daunenfeder dankbar. Und dennoch ist nicht an Schlaf zu denken, denn die ersten Mitglieder unserer  Trekkinggruppe haben bereits zum mehrstimmigen Schnarchkonzert angehoben. Meine Ohrstöpsel versagen, ob es an der Höhe liegt?  

Doch dann ist es plötzlich Mitternacht geworden. Drei Stunden sind irgendwie vergangen. Jetzt drückt die Blase. Nachts rächt sich das viele Trinken, das in dieser Höhe doch so wichtig ist. Mindestens drei  Liter am Tag, dazu rät auch Jürgen, unser Arzt in der Gruppe, der alle bestens mit Rat und Tat versorgt. Noch drei Stunden bis zum Aufstehen. Zu lang! Da hilft nur entschiedenes Handeln.  Schnell raus aus dem Schlafsack, Stirnlampe über den Kopf gezogen, warme Jacke übergestreift, in die  klammen Wanderstiefel geschlüpft und hinaus in die Kälte.  Nur zwei, drei Schritte, weitere wären zu gefährlich. Der Schnee schmilzt im Schein der Stirnlampe. Die Nacht ist eiskalt und sternenklar, der Mond nur eine schmale Sichel. Die Eisriesen rundherum wirken wie dunkle Schatten.  Der kalte Wind zieht unangenehm durch die Beine. Die gute Nachricht: Für unseren Aufbruch in ein paar Stunden werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit klares Wetter haben.  

Kurzatmig krieche ich zurück in den Schlafsack. Immer schön auf dem Rücken liegen,  sage ich mir vor,  tief und ruhig in den Brustkorb atmen, wie in der Yogastunde. Allmählich wird der Atem flacher. Zufrieden denke ich an unseren Trainingsaufstieg  am Nachmittag zurück. „Hoch gehen, tief  schlafen“  lautet ein bewährtes Mittel  gegen die Höhenkrankheit.

Wenig später weckt mich ein Kläffen.  Erst weiter entfernt, dann immer näher. Ich halte mir die Ohren zu, doch es hört einfach nicht auf.  Kann der verdammte Köter nicht einfach mal die Schnauze halten!  Auch in die Schlafsäcke neben mir kommt Bewegung.  Vielleicht warnt der Hund uns ja vor einem Schneeleoparden?  Schließlich leben die seltenen Wildkatzen genau in diesen ausgesetzten Bergregionen, lassen sich aber nur äußerst selten blicken. Das wäre doch eine gute Schlagzeile: „Hund warnt deutsche Trekker vor Schneeleoparden!“  Doch es war kein wildes Tier, das den treuen Vierbeiner in Hab Acht-Stellung versetzt hat. Es waren wir selbst, die furchterregend schnarchenden, aber unsichtbaren Schläfer,  die das gute Tier beunruhigt haben!

Um drei Uhr morgens sind schon alle wach, bevor der erste Wecker geklingelt hat.  Jetzt geht es um die richtige Bekleidung für den Aufstieg. Jemand hat auf seinem Thermometer Außentemperaturen von minus 10 Grad Celsius gemessen.  Also ist Zwiebellook angesagt. Nicht zu kalt, aber auch nicht zu warm, damit man nach einer halbe Stunde Marsch nicht gleich ins Schwitzen kommt.

Lustlos schlürfen wir im eiskalten Speiseraum Porridge und schwarzen Tee. Nicht gerade ein Gourmetfrühstück, aber die Vernunft hilft nach.  Um kurz vor vier ist es noch stockdunkel. Die Träger sind  mit dem schweren Gepäck schon voran gegangen. Die Gruppe steht vollzählig mit geschnallten Rucksäcken, leuchtenden Stirnlampen und erhöhtem Adrenalinspiegel  zum Abmarsch bereit.

Die Weisheit der Bergführer
„Okay, okay!“  Endlich ertönt das erlösende Startsignal von Bhai Kazi Gurung, unserem zweiten Wanderführer, der immer als Schrittmacher voran geht. Bhai Kazi ist wie seine Führerkollegen ein überaus freundlicher Mensch, der diese Tour schon viele Male gemacht hat.  Für  ihn und die gesamte Begleitmannschaft scheint die anspruchsvolle Manaslu-Umrundung wie ein besserer Spaziergang zu sein. Wenn er merkt, dass wir schlapp machen, stimmt er wie beiläufig ein Lied an. Sein lang gezogenes  „Okaaaayyyyy, okaaaayyyyy!“  ist längst zum Markenzeichen der ganzen Gruppe geworden.  Wenn er ruft, antwortet sogleich ein vielstimmiges Echo. Dann sagt Bhai Kazi regelmäßig auch noch: „Pause, Pippi machen, Trinken!“  Und mit diesen wenigen Worten und einem nicht enden wollenden Vorrat an guter Laune bringt Bhai Kazi  eine Frau und zwölf Männer zwischen 30 und 70 Jahren  aus dem fernen Deutschland, jede und jeder mit ganz unterschiedlichen Erwartungen und Befindlichkeiten, sicher und zufrieden durch das Hochgebirge.  

Wie auch die anderen Bergwanderführer hat der Endvierziger Bhai Kazi eine typisch nepalesische Karriere hinter sich. Begonnen hat er in jungen Jahren als Lastenträger, dann betreute er als Koch Zelt-Trekkingtouren. Schließlich wurde er zum zweiten Führer berufen und arbeitet seitdem häufig im Team von Ram, unserem Ersten Führer. Die sog. Ersten Führer stellen sich i.d.R.  ihr gesamtes Träger- und Führerteam selbst zusammen und tragen somit die Gesamtverantwortung für den Erfolg einer Trekking -Tour. Ram erzählt gerne, dass er schon seit 25 Jahren als Führer für den DAV Summit Club arbeitet. Deutsch hat er unter anderem bei seinen Sommerhospitationen auf der Ybbstaler Hütte in Niederösterreich gelernt. Das Bergführerzeugnis hat er nach einem 45-tägigen Lehrgang erhalten.

Gute Bergführer und Lastenträger verdienen kein Vermögen, aber mehr als die arme Landbevölkerung, durch deren Gebiete sie die Wandertouristen begleiten.  Manch einer mag sich fragen, ob es in Ordnung geht, dass die Träger den Löwenanteil unseres Gepäcks schultern. Doch der Beruf des Lastenträgers ist in diesem Bergland fest etabliert und eine wichtige Einkommensquelle. Bezahlt wird i.d.R. nach Gewicht. Maximal 13 kg Gepäck dürfen wir Trekker an die Träger abgeben. Diese tragen dann jeweils zwei Taschen, zusätzlich zum eigenen Gepäck.  Da kommt man schnell auf 30 kg. Getragen wird auf dem Rücken. Ein Band über der Stirn hält alles zusammen.

Mit 5 bis 6 Trekkingtouren pro Jahr während der monsunfreien  Herbst- und Frühjahrsmonate können Führer und Träger ihre Familien halbwegs über die Runden bringen. Großzügiges Trinkgeld der Touristen ist ein wichtiger Bestandteil dieses Kalküls. Viele junge Nepalesen ziehen den Lastenträgerberuf den ungewissen Gastarbeiterschicksalen auf den Baustellen im Nahen Osten vor.  Einige unserer Träger kennen auch beide Welten. Am Flughafen von Kathmandu werde ich auf eine Gruppe junger Männer treffen, die mit kleinem Gepäck und großer Ungewissheit am Schalter von Qatar Airways ansteht. Sie sprechen kaum ein Wort Englisch und radebrechen, dass sie für „two or three months“  ausreisen wollen.   

Es geht los!
Endlich setzt sich unsere Trekkinggruppe in Bewegung. Bhai Kazi läuft wirklich im Zeitlupentempo voran.  In den hinteren Rängen gerät unser Trek deshalb immer wieder ins Stocken. In aller Ruhe kann ich da im Schein meiner Stirnlampe die Sohlenabdrücke meines Vordermanns im Schnee studieren. Meine Füße sind unterdessen eiskalt. Ich werde ungeduldig, denn bei diesem Schneckentempo, so denke ich,  werden wir nie auf Betriebstemperatur kommen. Doch irgendwann findet unser Trek dann doch in einen gleichmäßigen Trott. In gemächlicher Steigung  laufen wir immer in westlicher Richtung den Hang am Rande eine Moräne hinauf. Meter für Meter, Minute für Minute gewinnen wir an Höhe.  

In der ersten Pause ist es noch stockdunkel. Der Sternenhimmel sieht fantastisch aus.  Ab 5 Uhr bekommt die Landschaft um uns herum allmählich Konturen.  In unserem Rücken geht langsam die Sonne auf. Längst können wir die Stirnlampen ausschalten, weil der nur schwach erleuchtete Himmel schon viel mehr Licht reflektiert als unsere kleinen Batterieleuchten. Immer wieder queren wir steile Schneefelder, die unsere volle Konzentration erfordern. Doch der Schnee ist angenehm trittfest, und glücklicherweise sinken wir nur an wenigen Stellen tiefer ein.

Um  6:15 Uhr haben es die ersten Sonnenstrahlen endlich über die Gipfel der Eisriesen in unserem Rücken geschafft. Das ist der Moment der Photographen. Die Spitzen der zahllosen Fünf-, Sechs-, Siebentausender um uns herum glänzen im ersten Sonnenlicht. Ein Schauspiel, das wir so schnell nicht wieder erleben werden!   Hinter uns, im Osten, sehen wir die Bergriesen an der Grenze zu Tibet,  links von uns die Gletscher des Larke und Manaslu Massivs und rechts unzählige Sechstausender, von denen es in Nepal so viele gibt, dass sie keine eigenen Namen haben.

Geschafft!

Über den Pass
Nach einer kleinen Anhöhe wird der Weg flacher. Vermeintlich erspähen wir am Horizont schon den Larke-Pass.  Doch tatsächlich türmen sich vor uns immer wieder neue Möranenhügel auf. Die Luft wird allmählich wärmer, doch der kühle Wind rät uns,  die Jacken anzubehalten. Wir machen nun in kürzeren Abständen Pause, so dass alle im Trek genügend Zeit zum Verschnaufen haben.  Kurz vor 10 Uhr sehen  wir dann den Pass endlich vor uns liegen. Über ein paar aufgetürmten Steinen flattern die bunten tibetischen Gebetsfahnen.  Wenig später haben wir es dann endlich geschafft. Das Etappenziel ist erreicht. Ich schwanke zwischen Kotz- und Glücksgefühlen. Erschöpft fallen wir uns in die Arme. Und mit dem unverzichtbaren Gruppenfoto ist die Anstrengung schnell wieder vergessen.

Jenseits des Larke-Passes ist das Panorama überwältigend. Wir blicken nun in das Annapurna Gebiet mit seinen gewaltigen Eisspitzen und Gletschern.  Die Sicht reicht schier unendlich weit, der Himmel ist tiefblau, und es ist keine Wolke am Himmel. Perfekter geht es nicht.  Doch unsere Führer drängen zum Aufbruch.  Lange und steile Abstiege über unwegsame Schnee- und Geröllfelder stehen uns noch bevor. Die Wanderstöcke bieten den Knien jetzt hilfreiche Entlastung.  Mit jedem Schritt bergab atmen wir etwas mehr Sauerstoff ein.  Als wir den ersten langen Steilhang endlich hinter uns haben, gibt Bhai Kazi spürbar Gas.  Gegen  4 Uhr nachmittags, also 12 Stunden nach unserem Aufbruch,  treffen wir müde, erschöpft, aber hoch zufrieden in der  Pontkar Mountain Lodge in Bimtang ein.  

Hot Shower und Wifi,  Dal Bhat und Gorkha Bier
Die sogenannte warme Dusche haben wir schnell entdeckt. Auch hier tritt sie wieder in ihrer Inkarnation als „Bucket Shower“ auf:  Im Hof steht ein großer Wasserkessel über einer Feuerstelle. Daneben eine Blechschüssel mit  Schöpfkelle.  „Wifi“  gibt es laut Werbeschild natürlich auch. Nur funktioniert es gerade heute mal wieder nicht. Doch auf manche Dinge ist bei dieser Tour immer Verlass:  Getreidefladen am Morgen, Gemüsenudelsuppe am Mittag, Dal Bhat, das wunderbare nepalesische Nationalgericht aus Reis, Linsen, Currykartoffeln, Gemüse am Abend und das unübertroffene Gorkha Bier. Dazu die unermüdliche Fürsorge unserer Führer und Träger und das wunderbare Gefühl, es am Ende geschafft zu haben!   Noch zwei  abwechslungsreiche Wandertage durch Wald- und Moränenlandschaften, und wir sind am Ziel in Dharapani am Marsyangdi Fluss angekommen.

The Nonstop City – Tel Aviv

Sechs Kilometer Strandvergnügen

 Rundlauf: Vom Carmel Market in Tel Aviv-Mitte in südlicher Richtung durch das Newe Sedeq Viertel über Shefer, Mohiliver, Ha-hermon, Kinneret und Shabazi Street bis Alma Beach vor Old Jaffa. In nördlicher Richtung entlang der Uferpromenade bis Jerusalem Beach.  Am Ha-Knesset Square rechts auf Allenby Street bis Magen David Square. In Fußgängerzone über Nahalat Benjamin oder über Markt auf Ha-Carmel Street zurück zum Ausgangspunkt;  5,5 km.

Rundlauf vom Carmel Market  

In Tel Aviv ist der Sonntag nichts für Langschläfer.  Schon am frühen Morgen setzen die ersten Düsenjets quer über die Innenstadt  zur  Landung auf dem Ben Gurion Flughafen an.  In der Nachbarschaft wird schweres Baugerät in Bewegung gesetzt, und der Verkehr verdichtet sich schnell zur morgendlichen Rush Hour.  Im Judentum ist der Sonntag nicht frei, sondern der erste Wochenarbeitstag.

Alte Viertel werden neu
Ich laufe vom Carmel  Market, wo gerade die ersten Marktstände öffnen, quer durch das Newe Sedeq Viertel auf die Shabazi Street. Sie führt mich in südwestlicher Richtung bis hinunter an die Uferpromenade der Altstadt von Jaffa.

Sonnenschirme am Suzanne Dellal Center for Dance and Theater 

Niedrige Ziegelbauten  aus der Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts stehen in direkter Nachbarschaft zu ultramodernen Hochhäusern und Apartments.  Die engen Straßen werden immer wieder von Baufahrzeugen zugestellt. Heruntergekommene Häuser werden abgerissen, modernisiert oder aufgestockt. Manch alte Gemäuer ziert noch ein Graffiti, ein paar Meter weiter haben bereits Kunstgalerien, Boutiquen und Cafés eröffnet. Der Prozess der Gentrifizierung  ist in diesem lange vernachlässigten Viertel in vollem Gange. Die Shabazi Street ist ihr attraktivstes Aushängeschild. Aber Veränderung hat auch ihren Preis. 

Körperkult am Morgen
Ich durchquere einen kleinen Park und gelange schnell auf die Uferpromenade. An der Alma Beach ist bereits Hochbetrieb.  Viele haben ihr Surfbrett, andere ihre Hunde mitgebracht und ein paar haben sogar beides auf ihre Fahrradanhänger geschnallt.  Yogis, Jogger und Radler gesellen sich dazu. Jeder sucht die beste Welle,  den morgendlichen Adrenalinstoß  oder empfindet einfach nur Freude am eigenen Körper.    

Von Süden nach Norden eröffnet sich mir ein wunderbarer Blick auf die morgendliche Uferskyline von Tel Aviv. Sechs Kilometer feinster Mittelmeerstrand und 24/7 Möglichkeiten zum Feiern:  Von  den Straßenkneipen in Jaffas Altstadt  über die populären Strände der Innenstadt bis hin zu den angesagten Techno Clubs im Norden – das hat schon was!   „The Nonstop City“  hat jemand in bunten Farben auf eine Strandbude gepinselt.  Die Leute vom Stadtmarketing haben genau diese Losung zum Branding von Tel Aviv gemacht.  Eine Metropole, die offen, tolerant und kreativ sein will. Ein Ort des beständigen Wandels und der Innovation. Aber auch eine Stadt, an dem der Geldbeutel nicht zu klein ausfallen sollte, weil Tel Aviv  gegenwärtig auf Platz 9 der teuersten Städte der Welt rangiert.

Weiter geht es in Richtung Innenstadt auf der runderneuerten Uferpromenade.  Ist es ein Zufall, dass die schwarz-weißen Wellen im Bodenbelag so aussehen wie die an der Copacabana in Rio? 

Tel Aviv aus der Fischerperspektive 

Ich passiere Banana Beach und Jerusalem Beach, wo die Leute bis zur Ektase kleine Gummibälle mit Holzschlägern hin und her klackern.  Für ein paar Momente mache ich mich an den Fitnessgeräten für  ambitionierte Muskelmänner und rüstige Rentner  zu schaffen und biege dann am Ha-Knesset Platz rechts ab auf die Allenby Street und hinein in die Innenstadt.

Von Dessau nach Tel Aviv
Die Straße scheint von Imbissbuden und Billigläden zu leben. Erst beim zweiten Hinsehen entdecke ich Strukturen alter Bauhausgebäude aus den 30er Jahren. Doch die einst weißen Fassaden sind schmutzig grau geworden, und viele der großen schattenspendenden Balkone wurden mit Fensterverblendungen zugebaut. So sieht man auf der Allenby Street nur noch Spuren jener „weißen Stadt“,  für die Tel Aviv  als Weltkulturerbe geehrt wurde.

Innovative Mobilität
In flottem Tempo werde ich an der Steigung zum Magen David Square von jungen Frauen und Männern auf Elektro-Bikes und  E-Rollern überholt. Wenn später am Tag die Autoschlangen immer länger werden, erweisen sich diese populären  Flitzer als attraktive und saubere Alternative für den Großstadtverkehr.

Banksy mahnt in Tel Aviv 

Nun laufe ich noch ein paar Meter in der Fußgängerzone die Nahalat Benjamin Street hinunter. Hier haben sich Stoffhändler mit Street-Art Künstlern zusammengetan. Jede Ladenfassade hat ihr eigenes farbenfrohes Motiv. Doch dann hat einer doch noch in die Suppe gespuckt. Der Graffiti-Künstler Banksy erinnert mit seinen provokativen Werken an Konflikte, die in dieser heiteren Stadt scheinbar mühelos verdrängt werden. Denn das ahnte auch schon Bert Brecht: Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.  

Jeder für sich, keiner für alle: Jerusalem

001 Altstadt und FelsendomAltstadt Jerusalem

Rundstrecke: Yosef Navon Square, Hebron Road (Straße Nr. 60) talwärts bis Kreuzung Ma-ale HaShalom Street, Fußweg bergauf durch Bonei Yerushalayim Gärten zum Jaffator, außen entlang der Altstadtmauer über Tsahal Square bis Damaskustor, auf Sultan Suleyman Street vorbei am Herodestor, an nordöstlicher Ecke der Altstadtmauer über Treppe rechts durch arabischen Yeusefia Friedhof, über Löwentor in die Altstadt auf Via Dolorosa bis Grabeskirche Jesu, durch die Gassen Ha-Notsrim und David Street Richtung Jaffator, über Armenian Patriarchate Street durch das Zionstor aus der Altstadt heraus, Berg Zion vorbei an Davidsgrab und Holocaust Museum, über die Ma-ale HaShalom Street talwärts und Hebron Road wieder zum Ausgangspunkt; 6,6 km.

Jerusalem Altstadtlauf 29.9.2018_6,57 kmRundlauf von Süden im Uhrzeigersinn

 

Über die Frontlinien
Es ist Sabbat in Jerusalem, der Tag, an dem die Arbeit ruht und ultra-orthodoxe Juden alle elektronischen Geräte ausschalten. Und es ist der Sabbat am Ende des siebentägigen Sukkotfestes, zu dem viele gläubige Juden aus dem Ausland eigens nach Jerusalem gekommen sind. Sie feiern den Auszug der Israeliten aus Ägypten ins Gelobte Land.

Los geht‘s am Yosef Navon Square in Abu Tor, einem südlich der Altstadt gelegenen Viertel. Auf der Hebron Road, einer belebten Verkehrsader, die die Stadt in Ost- und Westjerusalem aufteilt, fahren deutlich weniger Autos als an Werktagen. Der israelische öffentliche Nahverkehr steht still. Lediglich die arabischen Busse mit den zwei grünen Streifen am Heck, die Jerusalem mit der Westbank verbinden, sind in Betrieb.

Entlang der Hebron Road laufe ich talwärts bis zur Kreuzung mit der Ma-ale HaShalom Street. Ein Schild erinnert an israelische Schützengräben aus dem Sechs-Tage-Krieg: Im Juni 1967 eroberte Israel von Jordanien die Ost-Jerusalemer Altstadt. Ich nehme einen Pfad, der in Spitzkehren bis oben an den Fuß der nördlichen Altstadtmauer und von dort bis zum Jaffator führt.

Das Jaffator ist der wichtigste Zugang von der westlichen Neu- in die Ost-Jerusalemer Altstadt. Er ist ein täglicher Sammelplatz für Touristen- und Pilgerscharen aus aller Welt, die je nach Kunst- oder konfessionellen Interessen hinter Fähnchen schwenkenden Führern in die engen Gassen ausschwärmen. Doch heute Morgen ist es am Jaffator fast menschenleer. Nur einige, augenscheinlich streng- orthodoxe jüdische Familien eilen zum Gebet an die Klagemauer: die Väter, bärtig, in schwarzem Anzug und weißem Hemd, und je nach konfessioneller Ausrichtung mit Schläfenlocken, Gebetsschal, Kippa, schwarzem Hut oder kreisrunder Fellmütze. Die Mütter in altmodisch wirkenden, über die Knie reichenden Kleidern, die Haare mit Tüchern umschlungen oder, wie sich bei näherem Hinschauen erweist, versteckt unter halblangen Perücken. Ein wenig erinnern sie an die Amish Frauen in Pennsylvania. Die zahlreichen Kinder, zum Teil noch auf dem Arm oder im Kinderwagen, tragen festliche Einheitskleidung.

010ec7db45b073660f7d31c06c96dad098015ad860Sultan Suleymans Altstadtmauer

Jerusalems Altstadt lasse ich zunächst rechts liegen und laufe in nordöstlicher Richtung an der mächtigen, bis zu 15 Meter hohen Stadtmauer entlang. In der heutigen Form stammt sie aus dem 16. Jahrhundert. Der osmanische Sultan Suleyman „der Prächtige“ ließ sie mit dem Wiederaufbau der Altstadt errichten.

Bewachte Ruhe am Damaskustor
Am Tsahal Square umrunde ich die inzwischen in fast jeder Großstadt anzutreffenden „I Love …“- Jerusalem – Buchstaben, dann geht es entlang der Waffenstillstandslinie von 1947 in lockerem Trab bergab zum Damaskus Tor. Hier ist arabisches Wohngebiet. Zwei Polizeiposten mit schwerbewaffneten jungen Frauen und Männern bewachen das Tor und greifen Zeitungsberichten zufolge sehr häufig in Auseinandersetzungen zwischen streitsuchenden Juden und Palästinensern ein. Heute, am Sabbat, ist es jedoch ruhig. Für die islamischen Araber ist normaler Werktag. Ihr Feiertag ist der Freitag, an dem sie quer durch die Altstadt und an verschiedenen Kontrollen vorbei zum Gebet in die Al-Aqsa Moschee auf den Tempelberg laufen. Heute aber bringen Mütter und Väter ihre Kinder in die Grundschulen der Nachbarschaft. Junge Burschen grüßen freundlich und laufen feixend ein paar Schritte neben mir her. Weitere Kommunikationsversuche gehen im Hupkonzert auf der Sultan Suleyman Street unter.

008 Yeusefiya CementaryYeusefia Friedhof

An der nordöstlichen Ecke der Altstadtmauer gelange ich über eine Treppe auf den arabischen Yeusefia Friedhof. Die Morgensonne wirft warmes Licht auf die kunstvollen Grabinschriften. Die friedvolle Würde dieses Ortes lässt mich unwillkürlich meine Schritte drosseln. Gleich gegenüber liegt der Ölberg und an seinen Hängen der größte jüdische Friedhof der Welt. Tote können nicht mehr streiten. Ich gehe weiter, und vor mir taucht hinter den Stadtmauern die goldene Kuppel des Felsendomes und das silberne Dach der Al-Aqsa Moschee auf dem Tempelberg auf.

Machtkampf in der Grabeskirche
Durch das östliche Löwentor gelange ich auf die Via Dolorosa. Ob der Kreuzweg Jesu tatsächlich durch das heutige muslimische Viertel der Altstadt verlief, ist historisch nicht verbürgt. Doch die arabischen Händler freuen sich auf die christlichen Pilgerströme und bieten ihnen eine reiche Palette unterschiedlichster Devotionalien an. Für alle ist etwas dabei: Marienbilder, Kreuze in allen Größen, Dornenkronen, Rosenkränze, Räucherstäbchen und Kerzen, aber auch jüdische Menora Leuchter, und Kippas aller Art. Einer preist mehrsprachig „Echte russische Ikonen“ an, ein anderer lockt mit Kaffee und frisch gepresstem Granatapfelsaft.

003 Grabeskirche mit Leiter_markiertGrabeskirche mit Leiter

Rund 1,3 km windet sich die Via Dolorosa mit ihren 14 Stationen in leichtem Anstieg bis zur Grabeskirche hinauf. Im Verlauf des Tages wird auf dem Vorplatz der Kirche ein wahres Gedränge der Pilger entstehen. Doch nur wenigen wird jene schlichte Holzleiter auffallen, die seit mehreren hundert Jahren unverrückt auf dem Sims schräg oberhalb des Eingangstors steht. Und doch ist diese Leiter ein Symbol für die Spaltung der Christenheit. Hüter der Grabeskirche sind die griechisch-orthodoxe, die armenisch-katholische sowie die römisch-katholische Kirche nebst weiteren christlichen Konfessionen. Jede Gruppe hat in den Mauern der Grabeskirche ihre eigene kleine Kirche oder Kapelle, die die diensthabenden Ordensleute mit der Strenge israelischer Grenzsoldaten vor einander und den Besuchern bewachen. Wem die Leiter gehört, lässt sich nicht mehr klären. Mitte des 18 Jhd. war der in Jerusalem herrschende Sultan Osman III der Streitereien so müde, dass er den Status Quo der Besitzverhältnisse in der Grabeskirche festschrieb und einer muslimischen Familie die Schlüsselgewalt über die wichtigste christliche Kirche des Abendlandes übergab.

In Laufkleidung betrete ich die Kirche nicht, auch wenn dies zwischen den vielen Besuchern nicht weiter auffallen würde. Doch durch die Eingangstür erspähe ich jene Felsplatte, auf der Jesus gemäß der Überlieferung nach seinem Tod am Kreuz einbalsamiert wurde. Ich sehe Pilger, die vor der Platte niederknien, beten, sie liebkosen und das Mysterium des Todes und der Auferstehung Christi physisch begreifen wollen.

Der weitere Weg durch die Altstadt führt mich durch nun schon belebtere Gassen. Die Souvenir-, Obst und Gemüsehändler machen allmählich ihre Pforten auf, und wie so häufig sind die Early Birds aus Asien als erste Besuchergruppen unterwegs.

Ein kleiner Abstecher von der David Street bringt mich über ein paar Treppenstufen hinauf auf die Dächer über der Altstadt. Hier liegt mehr oder weniger ihr geographisches Zentrum. Nach Süden blicke ich auf den Tempelberg. Juden und Muslime begreifen ihn gleichermaßen als ihre heiligste Stätte und werden nicht müde, auf ihrem Anspruch als einzig legitime Statthalter dieses Ortes zu beharren.

Über den DächernÜber den Dächern von Alt-Jerusalem

Links von mir liegen das christliche und muslimische, rechts das jüdische und christlich-armenische Viertel. Die drei großen Weltreligionen, die Jerusalem als ihre Heilige Stadt begreifen, verkünden fast gleichlautende Friedensbotschaften. Und doch sind sie in ewigem Streit miteinander verstrickt.

Streit statt Frieden
Über den Platz am Jaffator geht es weiter durch das armenische Viertel und schließlich durch das Zionstor aus der Altstadt heraus. Ich laufe über den Berg Zion, auf dem das Letzte Abendmahl stattgefunden haben soll, vorbei am angeblichen Grab des David, dem das Alte Testament die Eroberung Jerusalems um 1000 v. Chr. zuschreibt. Kein Mythos, sondern schreckliche Gewissheit ist der Holocaust, an den ein kleines Museum gleich auf der anderen Straßenseite erinnert. Mit der monumentalen Gedenkstätte Yad Vashem kann es allerdings nicht mithalten.

Über Ma-ale HaShalom Street und Hebron Road gelange ich wieder zum Ausgangspunkt. Den Rundlauf durch Jerusalem beende ich an einer markanten Aussichtsplattform südlich der Altstadt. Mein Blick schweift vom Berg Zion über Altstadt, Tempelberg und Ölberg, und schließlich in die Ferne nach Bethlehem im Westjordanland mit den Mauern um die Siedlungsgebiete. Alles ist ruhig, die Morgenluft erfrischend und klar, die Vögel zwitschern. Shalom, Salam alaikum, Frieden: In Jerusalem ist nichts schwerer als das.

Inmitten von 20 Millionen: Durch Mexikos historische Altstadt

 

Catedral metropolitana MexicoCatedral Metropolitana 

Rundstrecke: Centro Histórico, Fußgängerzone Ecke Calle de Bolivar und Ave. Francisco I. Madero – Plaza de la Constitución / Zócalo – 16 de Septiembre – Gante – Madero – Av. Juarez – Palacio de Bellas Artes – Parque Alameda Central – Ave .Juarez – Casa de los Azulejos – Madero/ Bolivar; 3,4 km.

Mexiko-Stadt 3,44 km April2017

Der schlangenverzehrende Adler ruht
Morgens um viertelnachsieben haben die Polizisten im historischen Zentrum von Mexiko-Stadt noch Zeit, WhatsApp Nachrichten auszutauschen. Die kleine Fußgängerzone im historischen Zentrum ist fast menschenleer. Gerade erst öffnen die ersten Frühstückscafés. Die Bürgersteige werden geschrubbt. Die größte spanischsprachige Stadt der Welt putzt sich zum Sonnenaufgang blitzblank heraus.

Ich laufe auf der Madero bis zum Zócalo hinunter, Mexikos geographisches und politisches Zentrum. Auf die Plaza de la Constitución, eine der größten Plätze Lateinamerikas, passen locker sieben Fußballfelder. Die riesige grün-weiß-rote Staatsflagge mit dem schlangenverzehrenden Adler im Zentrum des Platzes verlangt Ehrerbietung. Jetzt hängt sie schlaff am Mast herunter. Noch herrscht gemächliche Ruhe. Der Morgenverkehr kreist gemütlich um die Fahne herum, ein Schuhputzer nimmt sich Zeit zum frühstücken, ein Zeitungshändler blättert in seinen Zeitungen. Im Uhrzeigersinn laufe ich um den Zócalo herum und benötige eine ganze Weile, bis ich auf der Nordseite des Platzes die breite Front der Stadtkathedrale abgelaufen habe. Begonnen wurde der Bau schon im 16. Jahrhundert. In nicht ganz unbescheidener Demut nannten die spanischen Kolonisatoren ihre Kirche fortan Catedral Metropolitana de la Asunción de la Santísima Virgen María a los Cielos de la Ciudad de México und vereinnahmten damit die Jungfrau Maria für eine Ehrenloge im mexikanischen Hauptstadthimmel. Dass die größte Kirche Lateinamerikas tatsächlich auf dem Fundament und mit den Steinen eines aztekischen Tempels erbaut wurde, löste bei den Eroberern keine Skrupel aus.

Über die ganze östliche Breite des Zócalo erstreckt sich der mächtige Präsidentenpalast. Das sieht sehr streng aus, denn der Palast wurde aus grauschwarzem Lavagestein erbaut. Im Innern birgt er die wunderbaren Wandgemälde des Diego Rivera, dem Mann Frida Kahlos. Die turbulente Ehe dieses berühmten Künstlerpaares ist Stoff genug für eine ganz eigene Geschichte.

DSCF3275Parque Alameda mit Torre de las Américas

Dreiundachtzig Kirchen und Kapellen
Vom Zócalo biege ich in die Ave. 16 de Septiembre (dem Tag der mexikanischen Unabhängigkeit) ein und laufe auf einem breiten Fußgängerstreifen in Richtung Alameda Park. Mächtige klassizistische Regierungsgebäude, reich verzierte Kirchenfassaden, zerfallene Stadthäuser und neu entstandene Luxustempel säumen den Weg. Mexikos Altstadt ist Weltkulturerbe und befindet sich mitten im Umbruch. Alte Kirchen und Kapellen, und davon gibt es im Centro Histórico immerhin 83 (!), stehen metertief unter dem Straßenniveau. Mit dem Grundwasser sind sie über die Jahrhunderte abgesunken. Mancher Glockenturm nimmt es inzwischen mit dem Turm von Pisa auf.

Über die Straßen Gante und Madera in der Fußgängerzone erreiche ich den Parque Alameda Central, Mexikos grüne Oase inmitten der Stadt. Hier steht der große, aber nicht unbedingt schöne Palast der schönen Künste und bietet ansprechendes Kulturprogramm, wie zum Beispiel seit über 60 Jahren die äußerst sehenswerten Aufführungen des Ballet Folklórico de México. Nicht weit davon entfernt taucht plötzlich Beethoven auf. 1921 stiftete die deutsch-mexikanische Community die Büste zur hundertjährigen Unabhängigkeit. Rund um Beethoven herum hat ein Künstler moderne Plastiken gruppiert. Es bleibt offen, in welcher Beziehung die etwas zerknautschten Figuren zum großen Komponisten stehen.

Während ich noch über Beethoven und seine Groupies nachdenke, fällt mein Blick auf den Torre de las Américas. Er war einst Mexikos Wahrzeichen, höchstes Gebäude der Stadt und wurde als eines der ersten Hochhäuser erdbebensicher erbaut. An der Turmspitze leuchten abwechselnd die Nationalfarben und eine digitale Zeitanzeige auf. Das wirkte einmal modern, doch die verblichenen Gardinen und windschiefen Rollos in den Fenstern bestätigen, dass die großen Zeiten des Gebäudes vorbei sind. Heute prägen die weitaus eleganteren Wolkenkratzer im Geschäftsviertel an der Reforma die Silhouette der Stadt.

Beethoven und Humboldt atmen Höhenluft
Der Alameda Park erfreut den Besucher mit den glockenförmigen purpurfarbenen Blüten der Jacaranda Bäume. Bänke rund um die Springbrunnen laden zum Verweilen ein. Doch morgens treffen sich hier vor allem die Frühsportler. Einige tragen Atemschutz über Mund und Nase, denn in der dünnen Höhenluft beißen die Abgase der Millionenstadt zuweilen spürbar in der Nase.

Auf der Madera MexicoAuf der Ave. Francisco I. Madero

Nachdem ich am äußersten Ende des Parks eine Statue Alexander von Humboldts – der Forscher bereiste Mexiko vor gut 200 Jahren – umrundet habe, laufe ich wieder in die Altstadt zurück. Gleich zu Beginn der Fußgängerzone in der Madero steht die einzigartige Casa de los Azulejos, ein Haus, das vollständig mit blau bemalten Kacheln getäfelt ist. Das Café darin ist gut besucht. Der Tag ist erwacht. Auf den Straßen und Wegen von Mexiko-Stadt ist jetzt nur noch Schritttempo möglich.